Ein Kelch voll Wind
gewirkt, dass ich mich gefragt hatte, ob er vielleicht eingeschlafen war. Doch dann hatte er langsam die Augen aufgeschlagen und unsere Blicke hatten sich gekreuzt. Er hatte nicht gelächelt, doch während ich mich ihm näherte, hatte sich sein ganzer Körper wachsam angespannt.
Ich hatte mich neben ihn gesetzt, ohne ihn zu berühren, ohne ein Wort zu sagen.
Endlich hatte er eine Hand ausgestreckt und gesagt: »K omm.«
Ich hatte keine Ahnung gehabt, wo er mich hinführen wollte, und es war mir auch egal gewesen. Und nun näherten wir uns gerade dem Fluss. Ich nahm den Geruch des Wassers wahr und hörte die Schlepper, die ein paar Lastkähne flussabwärts zogen.
Wir stiegen die Stufen hinauf und liefen den ganzen Weg bis zu dem Steg, wobei wir die Touristen mieden, die einander vor dem gewaltigen Mississippi fotografierten. Luc führte mich zu einer Stelle, wo der Damm nur aus zerrupftem Gras und zermalmten Austernschalen bestand. Wir liefen immer weiter, bis wir uns weit von allen anderen entfernt hatten. Das Französische Viertel lag in unserem Rücken und vor uns erstreckte sich über gut eineinhalb Kilometer der Fluss. Wir ließen uns im Schneidersitz im Gras nieder. Weder berührten wir uns noch sprachen wir. Wir sahen einfach nur zu, wie der Nachmittag verging.
Es dämmerte bereits, als Luc zum Sprechen ansetzte. »I ch hatte Angst, du würdest nicht zurückkommen.« Er rupfte einen Grashalm aus der Erde und fing an, ihn systematisch in Streifen zu reißen.
»D u wusstest, dass ich wiederkommen würde.«
Er drehte sich zu mir um und seine Augen hatten dieselbe Farbe wie der dunkle Abendhimmel. Er nahm meine Hand und verschränkte seine Finger in meinen. »D u bist der entspannteste Mensch, den ich je kennengelernt habe«, sagte er leise. »D u hast eine … Gelassenheit an dir, eine Fähigkeit, einfach nur da zu sein, ohne irgendetwas zu wollen oder zu brauchen. Das ist … bemerkenswert. Ich fühle fast so etwas wie Frieden, wenn ich mit dir zusammen bin.« Er lachte kurz auf. »W enn du mich besser kennen würdest, wüsstest du, wie erstaunlich das ist.«
Mir ging es in seiner Gegenwart genauso. »L uc«, sagte ich. Seit er mich an jenem Abend geküsst und bis auf den Grund meiner Seele aufgewühlt hatte, ließ mir eine Frage keine Ruhe. Nichts von all dem, was danach alles passiert war, hatte die Tatsache schmälern können, wie sehr er mich berührt hatte. »W as willst du von mir? Und was bietest du mir?«
Seine Augen schienen noch dunkler zu werden, aber vielleicht sah es auch nur so aus. Wolken zogen am Himmel auf, als würde Gott eine dicke Tagesdecke über uns ausbreiten.
»I ch mache mich nicht über dich lustig«, sagte ich. »I ch will’s wirklich wissen.«
»I ch weiß.« Nachdenklich streichelte er meine Hand. »W enn du mir dieselbe Frage noch vor wenigen Tagen gestellt hättest, hätte ich nur eine einzige Antwort darauf gehabt. Aber jetzt nicht mehr.«
Ich lächelte. »W as wäre deine Antwort gewesen?«
Ein spitzbübischer Ausdruck legte sich auf sein attraktives Gesicht. »I ch hätte gesagt, dass ich dir an die Wäsche will, und ich hätte dir die Chance gegeben, auch an meine zu kommen.«
Ruckartig zog ich meine Hand zurück. »L uc!«
Er lachte und ich wollte ihn einfach nur wild küssen. Bei dem Gedanken blinzelte ich verblüfft– normalerweise war das nicht unbedingt mein Ding. Doch meine Gefühle für ihn waren so ungestüm, am liebsten hätte ich ihn als mein Eigentum markiert. Ich wurde rot, was Luc fehlinterpretierte.
»N anu, habe ich dich etwa schockiert?«, neckte er mich. »D u kannst die Typen, die dir das gesagt haben, doch bestimmt gar nicht mehr zählen, oder?«
Ernsthaft antwortete ich: »N ein, das stimmt nicht. Ich meine, die Jungs wussten sowieso, dass ich Nein sagen würde, also haben sie irgendwann aufgehört zu fragen.«
Er verstummte und blickte mich prüfend an. Erst jetzt merkte ich, was für eine Information ich da gerade preisgegeben hatte, und stöhnte innerlich gedemütigt auf . Oh Gott, Thais, erzähl doch einfach jedes peinliche Detail, das dir einfällt.
»T hais.« Er klang zutiefst erschrocken, und in seiner Stimme schwang noch etwas anderes mit, das ich nicht identifizieren konnte. Ich verging geradezu vor Scham. Am liebsten wäre ich einfach so in Flammen aufgegangen und in einer Rauchwolke verschwunden.
Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen. »D arüber will ich nicht sprechen!«
»D u willst doch nicht etwa sagen…«
»I ch
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