Ein Kelch voll Wind
Grenzen sich auflösen«, sagte ich langsam und mit sanfter Stimme. »W erde eins mit dem Feuer, mit mir, mit deiner Umgebung. Öffne deinen Verstand für alles Existierende. Vertraue auf la magie, auf dass sie dir zeige, was du wissen musst. Fokussiere dich auf deinen Atem, verlangsame ihn, lass ihn flach und ruhig werden, damit du ihn kaum wahrnimmst.«
Es war interessant. Als kleines Kind übte man diese Dinge gerne mal vor dem Spiegel. Ich hatte unzählige Stunden so verbracht, um zu lernen, so schnell wie möglich in den Zustand der Trance zu sinken, der Magie erst möglich machte. Während ich Thais betrachtete, fühlte ich mich auf gespenstische Weise in die alten Zeiten zurückversetzt, nur dass diesmal sie der Spiegel war.
Ich merkte, wie mein Bewusstsein abtrieb und Thais mit sich zog. Es funktionierte ganz gut, trotz des leichten Nebels, den das halbe Bier hervorgerufen hatte. Ich sollte wirklich öfter an die negativen Auswirkungen denken, die Alkohol auf Magie hatte. Der totale Mist.
Ohne Vorwarnung standen Thais und ich mitten in einem Sumpf. So plötzlich und abrupt funktionierten Visionen normalerweise nicht. Und diese hier war so vollkommen– nirgends waren Spuren des Arbeitszimmers zu sehen. Ich bekam ein schlechtes Gefühl.
Thais sah mich verwirrt an, und ich versuchte, mir meine Besorgnis nicht anmerken zu lassen. »D ies ist ein Sumpf«, sagte ich, weil ich dachte, dass sie in Connecticut wahrscheinlich nicht allzu viele davon gesehen hatte. Um uns herum war es bereits dunkel und etwas Schweres, Niederdrückendes lag in der Luft.
Thais nickte und sah gar nicht begeistert aus. »I ch war schon mal in einem Sumpf«, sagte sie.
Zwischen den Bäumen erblickten wir eine Gruppe Hexen. Thais hielt meine Hand ganz fest, und erst jetzt wurde mir klar, dass wir einander keinen Moment lang losgelassen hatten.
Bestürzt bemerkte ich die riesige Zypresse aus meiner Vision mit Nan und das dunkle Wasser, das aus ihren Wurzeln blubberte. Déesse. Auf keinen Fall wollte ich das noch einmal durchleben. Und erst recht wollte ich nicht, dass dies Thais’ erste Vision würde.
Ich wich vor dem Baum zurück und fing an, leise Worte zu formulieren, die uns hier wegbringen würden. Doch nichts geschah. Ich versuchte es noch einmal, überzeugt davon, dass ich mich richtig an die Wortabfolge erinnert hatte. Doch nichts passierte.
»W er sind die? Was tun die da?«, flüsterte Thais.
Ich hatte keine Ahnung. »I ch versuche, uns hier rauszukriegen«, sagte ich ebenso leise, als würden wir sonst Aufmerksamkeit erregen. Die Hexen trugen allesamt lange Talare in verschiedenen Farben und einige von ihnen hatten Hüte auf. Sie begannen, dalmonde, im Uhrzeigersinn, in einem Kreis um den Baum herumzugehen. Wir hörten ein schwaches Summen, ihren Gesang, doch ich konnte nichts verstehen.
Thais sah blass und verängstigt aus.
Beim ersten Mal hatte Nan mich aus der Vision zurückgeholt, doch jetzt wartete niemand in dem Arbeitszimmer auf uns.
Bumm! Eine Lichtexplosion und eine gewaltige, durch ein Geräusch erzeugte Druckwelle warfen uns beinahe um. Wir packten uns an den Armen. Unsere Haare standen uns elektrisiert vom Kopf ab. Ich sah, wie der Kreis erstrahlte, als die Energie die Hexen durchdrang. Ihre Rücken bogen sich in Ekstase oder auch vor Schmerz und sie streckten die Hände aus.
Eine der Hexen lachte– ich glaubte, es war eine Frau. Wir sahen, wie sich eine andere Hexe an den Bauch fasste und zu Boden ging. Zwei der Umstehenden beugten sich über sie. Wir konnten ihre Schreie noch durch den Sturm und den peitschenden Regen hören, der uns durchnässte.
»B ring uns hier raus!«, schrie Thais.
»I ch versuch es ja!«, rief ich zurück und wiederholte ein ums andere Mal die Worte, die uns eigentlich zurück in die Realität hätten beamen sollen.
Die Zeit schien schneller zu vergehen. Wir konnten die Szene noch klarer beobachten, obwohl wir nicht besonders nah dabeistanden. Die Hexe auf dem Boden gebar ein Kind, eine andere half dem Baby heraus, das vom Regen rein gewaschen wurde. Es war winzig und bewegte sich kaum. Die Mutter des Kindes sank auf den schwarzen, nassen Boden zurück. Ihr Gesicht war bleich und blutleer, ihr Augen waren weit geöffnet. Sogar von hier aus konnten wir sehen, dass sie gestorben war. Bis auf die eine Hexe, die immer noch dabei war, das plötzliche Aufbranden ihrer Macht auszukosten, sah der Zirkel vollkommen entsetzt aus.
Genau wie in meiner Vision sickerte das Blut in den
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