Ein Kelch voll Wind
Boden und im gleichen Moment begann die Quelle aus den Baumwurzeln zu sprudeln. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was all das zu bedeuten hatte.
»W as ist das?«, fragte Thais zitternd, und ich hörte das gemächliche Läuten einer Klingel. Eine Art Summen.
»I ch weiß es nicht«, sagte ich.
Eine Frau hob das Baby auf und hielt es hoch. Die Schreie des Kindes klangen hoch und dünn wie bei einem Kätzchen. Wieder hörte ich es läuten. Ich blickte Thais stirnrunzelnd an, doch sie schüttelte den Kopf. Auch sie hatte keine Ahnung, um was es sich handelte.
»D as ist die Türklingel!«, rief ich im selben Moment, in dem der Hexe ihr Hut vom Kopf fiel. Ein Blitz erhellte ihr Gesicht, das Baby, den Zirkel und die mit Blut besudelte Erde. Im nächsten Augenblick saßen Thais und ich wieder in der Mitte des Bodens vor der angezündeten Kerze und blinzelten verwirrt. Unsere Fingerknöchel traten weiß hervor und unsere Hände fühlten sich taub an, weil wir einander so fest umklammert gehalten hatten.
An der Tür klingelte es erneut. Zittrig blies ich die Kerze aus und erhob mich, dabei verwischte ich rasch die Kreislinie. Thais lief zur Tür, um sie aufzumachen.
»Y o! Party!«, rief Racey und hielt ein paar Flaschen über ihren Kopf. Ein Schwarm Partygäste strömte hinter ihr herein. Jemand legte eine CD auf und im nächsten Moment war das Haus voller Lärm, Menschen und Licht. Q-Tip flitzte zwischen den Beinen der Leute hindurch in die Nacht. Schlaue Katze. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war nach neun. Ich war immer noch vollkommen geschockt und hätte nichts lieber getan, als mich irgendwo hinzusetzen und zu verarbeiten, was wir da gerade gesehen hatten. Thais wirkte krank und angespannt. Aber leider hatten wir momentan keine Wahl.
Gerade als Thais die Tür schließen wollte, wurde sie erneut aufgedrückt und noch mehr Leute drängten herein. Sie warf ihnen ein kurzes, unbehagliches Lächeln zu, während die anderen sie begrüßten. Als sie bemerkten, wen sie vor sich hatten, blickten sie sich suchend nach mir um.
»H i! Hi!«, sagte ich und versuchte, enthusiastisch zu klingen, obwohl ich überall sonst lieber gewesen wäre als hier. Zum Glück war Racey schon in der Küche am Getränke-Mischen. Collier Collier kam mit einer Zehnkilotüte Eiswürfel über der Schulter herein. Ich sah, wie Della auf ihn zulief, und lächelte ihr augenzwinkernd zu. Ich fühlte mich seltsam benommen. Mit einem unglücklichen Blick in meine Richtung lief Thais ins Esszimmer, wo Eugenie und Kris gerade dabei waren, ein paar Chipstüten aufzureißen. Sie brauchte nichts zu sagen. Wir wussten beide, was wir, eine Sekunde bevor uns die Türklingel zurück nach Hause befördert hatte, gesehen hatten. Der älteren Hexe war ihr Hut vom Kopf gerutscht und sie hatte ein Baby hochgehalten. Es war Nan gewesen. Und der Blitz hatte uns das Gesicht der toten Mutter gezeigt. Sie hatte ein Muttermal gehabt, das genauso aussah wie unseres. Ein roter Klecks auf der Wange.
Das Kind hatte auch eins gehabt.
»S uper Idee!«, sagte Kris und ihr langes, blondes Haar wehte hinter ihr her, während sie an mir vorbeilief. »W o ist euer Mülleimer?«
»K üche«, sagte ich automatisch und versuchte, mich ganz im Hier und Jetzt zu verankern. »A ber wir sollten besser auch noch einen ins Esszimmer stellen.«
Ich holte tief Luft und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Ich hatte keine Ahnung, wie ich aussah, aber sicher nicht besonders aufgestylt. Ich rannte die Treppen hinauf, durchwühlte meinen Schrank und streifte mir ein Tanktop mit BH -Trägern und einen schwarzen Rock über. Im Badezimmerspiegel sahen meine Augen riesig und gehetzt aus, dennoch preschte ich unbeirrt durch mein reguläres Make-up-Programm. Zwei Minuten später lief ich barfuß die Treppen hinunter, als es an der Tür klingelte.
»I ch geh schon!«, sagte Miranda Hughes und griff nach der Türklinke.
André stand im Eingang– groß, dunkel, sehr appetitlich– und blickte auf die lärmende Menge im Inneren des Hauses. Ich lächelte, erleichtert und glücklich, dass er hier war. Seine Gegenwart würde die traumatische Vision auslöschen. Als er mich erblickte, weiteten sich seine Augen anerkennend. Er hielt eine Papiertüte mit Tequila in die Höhe.
»A ndré!«, rief ich und bahnte mir einen Weg durch die Menge. »L iebe alle, das ist André! André, das sind alle!«
Lachend hob er mich hoch und küsste mich auf den Mund. Ich seufzte vor Vergnügen und lehnte mich
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