Ein Kerl macht noch keinen Sommer
aber ich muss es leider ausschlagen«, sagte Anna. Sie war beherrschter, als sie es selbst für möglich gehalten hätte. »Ich wünsche euch beiden noch einen schönen Abend. Tony, wir sprechen uns noch wegen der Aufteilung der Vermögenswerte.« Obwohl sie – nach dem Schrei zu urteilen, den sie hörte, als sie die Tür aufgesperrt und hinter sich wieder geschlossen hatte – vermutete, dass Lynette vielleicht schon angefangen hatte, Tonys Vermögenswerte aufzuteilen.
Wenig später hörte Anna erst den einen Wagen mit quietschenden Reifen abfahren und dann den anderen, weitaus langsamer, als hätte Tony den Schwanz eingezogen. Sie wusste nicht, ob beide in dieselbe Richtung fuhren. Und es war ihr, wie sie mit einer gewissen Befriedigung feststellte, auch egal.
Sie hörte ein empörtes Aufkreischen zu ihren Füßen, als sie in die dunkle Küche ging, um Wasser aufzusetzen, und auf etwas Weiches trat. Offenbar hatte auch Butterfly sich diesen Abend ausgesucht, um nachhause zu kommen. Auf eine typisch männliche Art, mit eingezogenem Schwanz.
Siebenundsiebzigstes Kapitel
E lizabeth hielt den Brief ihrer Schwester an Raychel in der Hand, in dem sie ihr schrieb, wie sehr sie sich freue, dass sie sich bereiterklärt hatte, sie zu besuchen, und ihr den Weg zu der Pension schilderte, in der sie zurzeit wohnte. Elizabeth versuchte, ruhig zu bleiben, aber das fiel ihr wirklich sehr schwer. Gott sei Dank saß John am Steuer. Er war ihr sprichwörtlicher Fels in der Brandung. Das war er schon immer gewesen. Sie war so froh, dass ihre Nichte mit Ben ebenfalls einen Fels hatte.
Der kleine Ellis war zuhause bei seiner »Tante« Janey. Ihr Mann George war so herrlich albern, und zweifellos würde der kleine Junge einen Riesenspaß dabei haben, mit Janeys Sohn Robert und ihrem neuen, riesigen Bernhardinerwelpen Jimbo zu spielen. Dieser Ausflug hier war nichts für ein Kind.
Die Fahrt nach Newcastle dauerte zwei Stunden. Elizabeths Nerven spannten sich noch mehr an, als sie am »Engel des Nordens« zu ihrer Rechten vorbeifuhren. Sie schloss die Augen und beschwor ihn, ihr Kraft zu verleihen, denn sie war sich nicht sicher, was sie empfinden würde, wenn sie Bev sah. Das Monster, das sein eigenes Kind geschlagen und tatenlos zugesehen hatte, wenn ihr Freund dasselbe tat, war auch das kleine Mädchen, das sie im Bett weinen gehört hatte, weil ihr Dad sie missbraucht hatte, als sie Kinder waren. Sie wusste nicht, welche Bev sie sehen würde, wenn sie die Tür öffnete.
Das Navigationssystem kündigte an, dass sie hinter der nächsten Ecke ihr Ziel erreicht haben würden. John fuhr langsam weiter, versuchte, ein Schild der Pension zu finden, in der Bev lebte und in diesem Augenblick eine große Versöhnung mit ihrer Tochter erwartete.
»Ich komme mit«, sagte John.
»Nein, warte hier«, sagte Elizabeth. »Das hier ist nicht unbedingt die Gegend, in der man einen guten Wagen unbewacht stehen lassen sollte.«
»Und das hier ist nicht unbedingt das Gebäude, in das ich meine Frau allein gehen lassen will«, sagte John hartnäckig. »Ich werde dich zumindest bis zu Bevs Tür begleiten.«
Elizabeth protestierte nicht. John wollte sie nur sicher in dieses Haus bringen. Und ihre Nerven gingen ohnehin schon fast mit ihr durch.
Der Eingangsbereich erinnerte an eine chinesische Imbissstube in einer etwas heruntergekommenen Gegend. Billige Holztäfelung und ein halbherziger Versuch, die Wände mit ein paar kitschigen Bildern in Plastikrahmen fröhlich zu gestalten. In einer Wand befand sich eine Durchreiche, offenbar die »Rezeption«. Dahinter sah Elizabeth eine Frau mit dem Rücken zur Luke sitzen, die Musik auf einem iPod hörte und gleichzeitig auf einem tragbaren TV -Gerät fernsah.
»Hallo«, rief John durch die Luke und hämmerte, als seine laute Stimme nichts half, gegen den Rahmen, um die Frau auf sich aufmerksam zu machen. »Wir wollen gern Marilyn Hunt besuchen.«
»Oberster Stock, Zimmer acht«, sagte die Frau knapp, bevor sie sich wieder zu dem Fernseher umwandte.
»Offenbar eine sehr sichere Pension«, flüsterte John.
»Geh zurück zum Wagen«, sagte Elizabeth.
»Ich habe doch gesagt, ich bringe dich erst noch hoch«, beharrte John.
Sie gingen eine sehr kahle, schmale, gewundene Treppe hoch bis zum obersten Stockwerk. Ein schmuddeliges, mit Spinnweben verhangenes Dachfenster ließ ein bisschen graues Licht hinein, sodass das ganze Gebäude noch deprimierender aussah. Der Teppich auf dem Treppenabsatz war
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