Ein Kerl macht noch keinen Sommer
der Liebe und Wärme einer Familie sehnte, die in seiner dynamischen Karriere leider noch immer fehlte.
Als er an jenem Abend Anna am Bahnhof gesehen hatte, hatte das irgendetwas in ihm entfacht. Er konnte sich nicht erklären, wieso der Anblick dieser traurigen Frau mit den langen, kastanienbraunen Haaren eine solche Wirkung auf ihn gehabt hatte. Er hatte ihr Potenzial als das Model für sein geplantes Projekt gesehen. Aber es war mehr als das für ihn gewesen. Irgendetwas tief in seinem Inneren hatte eine verwandte Seele erkannt. Ein anderes menschliches Wesen, das sich danach sehnte, zu lieben und geliebt zu werden. Ihre Verletzlichkeit hatte sein Herz gerührt.
Woche um Woche hatte er zugesehen, wie Anna aufblühte, und der Geruch ihrer samtigen Haut brachte ihn fast um den Verstand vor Lust. Er musste seine ganze Kraft aufbieten, um seine Lippen nicht auf diese Haut zu pressen.
Und auf dem Vollmondball hatte er sich gewünscht, die Party möge sich früh auflösen, damit er mit Anna allein sein könnte. Er hatte vorgehabt, sie hinaus auf seinen Balkon zu führen und im Mondlicht mit ihr zu tanzen. Er hatte ihr einen schönen und romantischen Abend bereiten wollen. Er hatte ihr sagen wollen, dass er sich in sie verliebt hatte, während sie unter den Sternen Walzer tanzten. Und er hatte sich gewünscht, dasselbe von ihr zu hören.
Er war zu ihrem Haus geeilt, als er bemerkte, dass sie gegangen war. Er hätte diesen Kuss ebenso wenig aufhalten können wie den Fluss Mure s , als er eines Sommers, als er noch ein Kind war, über die Ufer getreten war. Aber war es für sie nur ein Kuss gewesen?
Er war ein Nervenbündel, als er am nächsten Morgen in seinen Wagen stieg, um sie abzuholen, wie er es versprochen hatte.
Die Generalprobe für die Hochzeit fand am Sonntag nach dem Morgengottesdienst statt. Es gab eine kleine Verzögerung, als sich die beiden Brautjungfern auf dem Friedhof übergaben und der Trauzeuge des Bräutigams aus dem nahe gelegenen Laden erst noch etwas Paracetamol und Red Bull besorgen musste. Der Bräutigam hatte nur noch eine Augenbraue. Die andere war ihm abrasiert worden, als er im Zentrum von Wakefield nackt an einen Laternenpfahl gebunden worden war. Er war ungewöhnlich still, benahm sich sehr anständig während der Generalprobe und erlaubte sich keinen Scherz, als sich die Gelegenheit bot, sich über das Lispeln des Pfarrers lustig zu machen, wie es sein Trauzeuge gern gewollt hätte.
Während er seine künftige Braut an seiner Seite ansah, begriff Calum Crooke, was für ein gutes Mädchen er mit Dawn hatte. Er war an diesem Morgen neben Mandy Clamp aufgewacht – seinem letzten Seitensprung, von Killer und Empty Head arrangiert. Aber jetzt kam er sich wie ein Mann auf Diät vor, der soeben eine ganze Schwarzwälder Kirschtorte vertilgt hat – beschämt, reumütig, mit einem flauen Gefühl im Magen und in dem Bewusstsein, dass die Vorfreude auf ein solches Vergnügen die Realität bei weitem übertraf. Mandy Clamp war eine echte Schlampe, für die es sich nicht lohnte, Dawn aufs Spiel zu setzen. Diese Erkenntnis war ihm heute Morgen gekommen, als Mandy eindeutig klargestellt hatte, dass ein Ehering keinen Unterschied für sie machte und dass er gern mehr von ihr bekommen könnte, wann immer – und wo immer – er wollte. Er war schon immer mit Schlampen gegangen, die ihre eigenen Grenzen nicht kannten, und auch wenn Dawn keine war und ihm niemals angetan hätte, was er ihr letzte Nacht angetan hatte, hatte er sie doch ebenso respektlos behandelt wie all die anderen Mandy Clamps dieser Welt. Er sah Dawn an, elegant in ihrem Sommerkleid, das lange, rote Haar hinten zusammengebunden, das Gesicht hübsch zurechtgemacht, und verglich sie mit seinen Schwestern, die weiß wie Zombies waren und in Jeans und billigen Designertops schwankten. Seine Mutter, in ihren allgegenwärtigen Flipflops, schubste die beiden auf ihre Plätze und schnauzte sie an, flüsternd, wie sie glaubte, obwohl sie alles andere als leise war, und er dachte, kein Wunder, dass er immer bei Frauen wie Mandy Clamp gelandet war, denn das war das Einzige, was er je gekannt hatte, bevor Dawn in sein Leben getreten war. Demi und Denise hatten über jede Frau hergezogen, mit der er je zusammen gewesen war, hinter ihrem Rücken natürlich, was eine Frechheit war, denn sie waren selbst mindestens genauso schlimm, vor allem Demi, denn seine ganzen Kumpels hatten sie gehabt. Aber in letzter Zeit hatte er sich, wenn sie Dawn
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