Ein Kind, das niemand vermisst
Gesetzlose erhängt. Viele Menschen behaupteten heute noch, sie spürten eine unheimliche Aura in der Nähe des Baumes und Kindern diente er für zahlreiche Mutproben.
Cunningham hielt von diesen Sagen nichts und er verstand nicht, dass so viele Leute einen großen Bogen um die besagte Lichtung machten oder gar den ganzen Wald mieden. Die beste Freundin seiner Frau, eine leidenschaftliche Radfahrerin, hatte jahrelang in Upper Milwood gelebt und statt der Abkürzung durch den Wald, was ihr eine gute halbe Stunde Zeit gespart hätte, immer den Umweg über die Landstraße genommen, wenn sie in die Stadt gefahren war.
»Hier müssen Sie rechtes abbiegen, Sir«, sagte Haines, die darauf bestanden hatte eine Straßenkarte zu Rate zu ziehen anstatt auf Cunninghams Ortskenntnisse zu vertrauen. Mit dem Zeigefinger fuhr sie eine Linie auf der Karte entlang und seufzte. »Ich glaub, Sie müssen doch erst die nächste rechts rein. Hier ist irgendwie eine Sackgasse.« Sie versuchte ein Gähnen zu unterdrücken.
»Ich weiß, wo ich lang muss. Die erste links, dann am Ententeich vorbei und immer gerade aus.«
Megan suchte auf der Karte vergeblich nach dem Teich. »Sind sie sicher?«
»Megan! Packen Sie endlich diese blöde Karte ein und konzentrieren sich auf etwas Sinnvolles.«
»Das da wäre?«
»Gucken Sie sich die Gegend an und achten Sie auf Kinder, denen wir Chloes Foto zeigen können.«
Er bog in einen Schotterweg, der von beiden Seiten von Hecken und Sträuchern gesäumt war. »Hier steppt ja so richtig der Bär«, kommentierte Megan, als Cunningham scharf nach links bog und sie den Teich passierten, an dessen Ufer eine ältere Dame stand und den Enten Brotreste zuwarf.
»Ich weiß, dass sie sauer wegen der Presse sind, aber-«
»Megan, Seien Sie mir nicht böse, aber ich möchte davon im Moment einfach nichts hören.«
Sie zuckte die Schultern und ließ ihren Blick über ein Maisfeld schweifen.
»Gibt es hier auch irgendwo Häuser?«
»Ja, da drüben, sehen Sie!« Cunningham deutete mit dem Kopf auf ein reetgedecktes Dach, welches hinter einer hohen Hecke wie eine zu groß geratene Pfeilspitze ragte.
Er parkte gegenüber dem Anwesen, stieg aus und besah sich das Namensschild am Tor, als auch schon eine Frau mittleren Alters mit einer Gartenschere in der Hand und Gummistiefeln aus dem Garten auf ihn zugelaufen kam. Er hielt ihr seinen Dienstausweis hin, während Haines begann sich die Nase zu schnäuzen. »Hier muss irgendwo eine Birke sein, Sir.«
»Polizei?«, sagte die Frau stirnrunzelnd und warf nur einen flüchtigen Blick auf den Ausweis. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht und war ungefähr Mitte vierzig. Mit flinken Bewegungen wischte sie sich die erdverkrusteten Hände an ihrer Schürze ab, bevor sie das Tor öffnete.
»Tut mir leid, Mrs Murphy, dass ich Sie bei der Gartenarbeit stören muss. Ich habe bloß ein paar Fragen.«
»Ach, diese Rosenbüsche laufen mir ja nicht weg.«
»Hier soll sich irgendwo ein leerstehendes Haus befinden, falls ich mich nicht völlig verfahren habe.«
Sie lachte kurz auf. »Haben Sie nicht. Es ist schräg gegenüber, hinter diesem furchtbaren dornigen Gestrüpp. Wir haben überlegt es wegzuschneiden, aber der Anblick eines halb verfallenen Hauses ist auch nicht viel schöner. »
»Wie lange wohnt denn da keiner mehr?«
Die Frau dachte einen Moment lang nach. »Fast zwanzig Jahre schon nicht mehr.«
Cunningham hob eine Augenbraue. »Wissen Sie etwas über die Vorbesitzer?«
»Es gehörte einer jungen Frau. Wie hieß sie noch...«
»Conroy? Jane Conroy«, half Cunningham nach, doch sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nein, sie hieß wie diese walisische Sängerin, die sich mit Vornamen so nennt...ach mir liegt es auf der Zunge.«
»Duffy?«, fragte Megan.
»Genau. Jane oder Jean Duffy. Sie hatte das Haus von ihren Eltern geerbt.«
Haines blickte zu Cunningham. »Muss ihr Mädchenname sein. Ich werde das nachher mal überprüfen.«
»Lebte sie alleine dort?«, wollte Cunningham wissen.
»Nein, nein. Da war immer mal wieder ihr Freund. Ein grässlicher Typ. Hat manchmal bis spät in die Nacht geschrien, immer wenn er betrunken vom Pub kam. Dann war er eine Zeitlang weg, aber er kam nach einigen Monaten wieder. Sie hat ihn wohl immer wieder zurück genommen. Das Seltsame war, dass ich sie fast nie zu Gesicht bekommen habe. Immer nur ihn. «
»Und vor zwanzig Jahren ist sie weggezogen?«
Mrs. Murphy dachte einen Augenblick lang nach. »Es war
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