Ein Kind, das niemand vermisst
kurz nach unserem ersten Hochzeitstag. Der war vor achtzehn Jahren, am 3. März 1993.« Für einen kurzen Moment nahmen ihre Augen einen verträumten Ausdruck an.
»Am Morgen unseres Hochzeitstages habe ich sie zum ersten Mal seit Monaten wieder im Garten gesehen. Damals konnte man von hier aus noch direkt rüber gucken. Es war noch sehr früh und sie hatte wohl nicht damit gerechnet jemanden zu treffen. Aber ich hatte mir für diesen besonderen Tag einen sehr frühen Termin beim Friseur geben lassen. Jedenfalls erschrak sie fürchterlich, als ich sie begrüßte. Und dann sah ich wieso sie kaum aus dem Haus ging. Das Gesicht war grün und blau geschlagen. Dabei war sie hochschwanger. Auf jeden Fall ging sie schnell zurück ins Haus und ein paar Tage später war sie weggezogen und ein Zu- verkaufen -Schild war dort vorne aufgestellt.«
»Wissen Sie wohin Sie gezogen ist?«
»Nein tut mir leid. Vielleicht kann Ihnen die Immobilienfirma in Dunby weiter helfen, die versucht hat das Haus zu verkaufen.«
»Es fand sich kein Käufer?«
»Nein. Das Haus ist wohl in keinem guten Zustand gewesen. Und wer zieht schon freiwillig in diese Gegend. Die meisten Leute ziehen von hier weg. Vor allem 1993, als es Bebauungspläne für ein Kraftwerk gab. Das wurde dann zwar doch nicht gebaut, aber der Schaden war angerichtet.«
»Ist Ihnen in letzter Zeit ein kleines Mädchen hier aufgefallen?«
»Hier wohnen nur wenige Kinder in der Nähe. Die sieht man aber kaum. Manchmal fahren sie allerdings auf dem Weg zum Ententeich mit ihren Fahrrädern hier vorbei.«
Cunningham holte das Foto von Chloe hervor und zeigte es ihr.
»Tut mir leid, aber so genau achte ich nicht auf die Gesichter«
»Vielen Dank für ihre Hilfe, Mrs Murphy. Meine Kollegin und ich werden uns dort einmal umsehen. Ich hoffe es stört Sie nicht, wenn ich bei weiteren Fragen noch einmal auf sie zukomme.«
»Ach wo! Aber dann trinken wir eine Tasse Tee.«
»Einverstanden.«
»Meinen Sie, Chloe könnte aus Manchester hierher zurück gekehrt sein?«, fragte Haines, als die beiden die Straße überquerten und das Gartentor des kleinen Cottages öffneten, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren.
»Möglich, aber ich glaube das eher nicht. Bei diesem Richie steckt sie jedenfalls nicht, dort gab es keinerlei Hinweise. Die Polizei hat sogar seinen Keller durchsucht. Nichts. Im Internet gibt er sich als Teenie aus, ist in Wirklichkeit aber achtundzwanzig. Wenn sie ihn angerufen oder getroffen hat, weiß sie auf jeden Fall, dass er gelogen hat.«
Sie gingen um das Haus herum, das wie ein trauriges Überbleibsel einer anderen Zeit wirkte. Im Garten wucherte das Unkraut vor sich hin und verlieh dem Haus zusätzlich den Charme eines Hexenhäuschens.
Die Gartenlaube war mit einem Vorhängeschloss abgeschlossen, doch Haines fand den Schlüssel wie von Barton beschrieben unter einer Gießkanne. Da es kein Licht gab und kein Fenster, leuchtete Cunningham mit einer Taschenlampe hinein. Es roch modrig und die Luft, die ihm entgegenschlug war feuchtwarm. Auf dem Fußboden lag eine Wolldecke, das Papier von zwei Mars-Riegeln und eine leere Cola Flasche. Megan kniete sich auf den Boden und hob die Decke auf. Darunter lag ein Schulheft. Megan nahm es in die Hand und blätterte es durch. »Grammatikübungen«, kommentierte sie. »Ziemlich viele Fehler.«
»Sie war eindeutig hier. Die Frage ist bloß wann.«
Cunningham leuchtete den ganzen Boden ab, doch außer Schmutz, Staub und leere Plastikflaschen fand sich nichts.
»Wieso lässt Mrs Conroy dieses Haus verfallen?«, fragte Megan auf dem Rückweg zum Auto. »Gute Frage. Vielleicht verbindet sie zu viele schlechte Erinnerungen damit.«
»Möglich. Aber dennoch ist es seltsam.«
Er hatte gerade das Auto gestartet, als Megan »Stop!«, brüllte.
»Was ist los?«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie zu der Stelle, an der kurz zuvor Mrs Murphy gestanden hatte. »Sie sagte 1993, richtig?«
»Glaub schon.«
»Jane Conroy war 1993 hochschwanger hat sie erzählt.«
»Ja, und?«
»Ich habe mir doch die Vermisstenanzeige von Sean Conroy angesehen. Sean Conroy wurde am 17. Septemper 1994 geboren.«
In Cunninghams Kopf begann es zu rattern. »Ich glaube, wir sollten den Tee bei Mrs Murphy versuchen.«
»Aber natürlich bin ich sicher, dass es 1993 war. Eine Frau vergisst doch ihren ersten Hochzeitstag nicht. Wir hatten eigentlich am 3.3. 93 heiraten wollen, wissen Sie.« Mit einem Lächeln stellte sie das
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