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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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gedrückte Stimmung wies eindeutig darauf hin, daß bei ihm alles schiefgegangen war. Doch sie mußte unbedingt dafür sorgen, daß er weitersprach, damit sie nähere Einzelheiten erfuhr, denn Lockwood hatte innegehalten und betrachtete mit unglücklichem Gesichtsausdruck schweigend das Bild.
    «Verflixt», sagte Mrs. Harris. «Und was war dann? Hat man Ihnen nicht erlaubt zu heiraten?»
    Lockwood riß sich von seinen Träumen los und erwiderte: «Es kam viel schlimmer. Ich habe sie nie wiedergesehen.»
    Das hatte ihn beinahe umgebracht, vertraute er ihr an, als er den Faden wiederaufnahm. Auf seiner Reise durch das Landesinnere war es ihm gelungen, einen aus Moskau verbannten Schriftsteller zu interviewen, der mehrere Jahre Arbeitslager hinter sich hatte und überdies in einer Irrenanstalt worden war, bis Proteste aus dem Westen seine Entlassung bewirkt hatten. Das Treffen mit diesem Dissidenten hatte ganz geheim stattgefunden, doch offenbar nicht geheim genug, denn als Lockwood in Moskau den Zug verließ, hatte der sowjetische Geheimdienst ihn unverzüglich festgenommen.
    Er hatte verschiedene Vorsichtsmaßnahmen getroffen, sonst wäre es ihm übel ergangen. So war es ihm beispielsweise während seines Aufenthalts in Sotschi am Schwarzen Meer gelungen, eines von den zwei Tagebüchern mit seinen Reisenotizen, nämlich das gefährliche, über die Türkei außer Landes zu schmuggeln. Irgend etwas hatte ihn im letzten Augenblick dazu bewogen, auch Lisawetas Foto in das Päckchen zu legen, so daß der KGB, nachdem er Lockwood vierundzwanzig Stunden lang in einem seiner Kellerappartements einem strengen Kreuzverhör unterzogen hatte, ihm nichts nachweisen konnte. In seinen Aufzeichnungen waren lediglich die Beobachtungen eines reisenden Schriftstellers wiedergegeben, der sich für Sitten und Gebräuche, Volkstrachten und malerische Landschaften interessiert. Seinen Besuch bei dem Dissidenten hatte er mit seiner Bewunderung für dessen Werk erklärt.
    Es gab keinen triftigen Grund, Lockwood länger festzuhalten und die mühsam angebahnte, aber höchst labile politische Entspannung zu gefährden, doch durch sein Interview mit dem in Ungnade gefallenen Schriftsteller war Lockwood zur persona non grata geworden. Der KGB konfiszierte sämtliche Aufzeichnungen und jeden kleinsten Zettel, den er bei sich trug, brachte ihn vom Verhör direkt zum Flugplatz, und fünf Stunden später fand Lockwood sich in London wieder.
    Die außerordentliche Vertracktheit von Lockwoods mißlicher Lage war Mrs. Harris zwar noch nicht in ihrem ganzen Umfang deutlich geworden, aber ihr Gehirn arbeitete bereits fieberhaft und suchte nach einem Ausweg für das ihr hier von einem ihrer Kunden unterbreitete Problem. Sie empfand eine angenehme Erregung darüber, an den Sorgen und Nöten eines Mitmenschen teilzuhaben, und sagte: «Aber können Sie nicht irgendwie nach Moskau fahren? Im Augenblick reisen doch ‘ne Menge Leute als Touristen nach Rußland. Von einer Dame, für die ich arbeite, ist gerade eine Freundin dort gewesen, und sie fand es himmlisch.»
    «Rußland hat zwei Gesichter.» Lockwoods Stimme klang bitter. «Da kommt man nach Leningrad und Moskau, sieht die Goldene Karosse im Kreml, die Mumie des großen Gottes Lenin und die Schätze des Zaren. Wodka, Kaviar, Verwöhnung von allen Seiten... Intourist tut sein Bestes, um den Westen hinters Licht zu führen. Nie im Leben bekomme ich noch einmal ein Visum... und schon gar nicht, wenn dieses Buch hier erst einmal erschienen ist.» Er tippte mit dem Finger auf das dicke Manuskript neben sich. «Sobald ich versuchte, das Mädchen zu treffen, säße sie im Handumdrehen hinter Gittern.»
    Für Mrs. Harris lichtete sich das Dunkel ein wenig. Hinter dieser Mauer schienen also Zellen und Gitter zu sein. «Da sitzen Sie aber ganz schön in der Tinte!» sagte sie, was bei ihr der stärkste Ausdruck für eine vernichtende Niederlage war. «Aber sie hat doch sicher Verständnis, oder?»
    Das ganze Ausmaß der Tragödie wurde nun offenbar. «Wie sollte sie?» stöhnte Lockwood. «Begreifen Sie doch... kein Mensch weiß etwas von meiner Ausweisung. Ich hatte versprochen, mich gleich nach meiner Rückkehr bei ihr zu melden. Das war vor sechs Monaten. Und neben allem anderen beschäftigt mich am meisten der Gedanke, daß sie annehmen muß, ich hätte sie im Stich gelassen.»
    Mrs. Harris griff tief in den Schatz ihrer lebenslangen Erfahrung. «Wenn sie Sie liebt, wird sie das bestimmt nicht

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