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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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übermitteln. Für Mrs. Harris, phantasievoll und romantisch, wie sie nun einmal war, war es die Mitteilung einer grenzenlosen Trauer und Sehnsucht. Winter, Schnee, ein unglückliches junges Mädchen und hinter ihr eine düstere Trutzburg.
    Diese Traurigkeit übertrug sich auf Mrs. Harris, oder, besser gesagt, sie verstärkte das Gefühl der Melancholie, das sie von Anfang an in dieser kleinen möblierten Wohnung empfunden hatte. Seit sechs Monaten arbeitete sie jetzt für Mr. Lockwood. Er wirkte immer sehr zerstreut und machte auf sie den Eindruck eines Menschen, an dem ein geheimer Kummer nagte.
    Die kleine, schmächtige und resolute Mrs. Harris stand also jetzt in Kittelschürze, Pantoffeln und Kopftuch, gewappnet für den Kampf gegen Staub und Schmutz, den langen Stiel ihres Mops senkrecht in der Armbeuge vor Mr. Lockwoods Schreibtisch, in der einen Hand das Foto und in der anderen ein Staubtuch. Die Linien und Furchen in dem lustigen Spatzengesicht mit den runden, glänzenden Apfelbäckchen zeugten von geschlagenen Schlachten im Kampf des Lebens, und die kleinen, flinken, pfiffigen Äuglein leuchteten vor Aufregung über die gemachte Entdeckung.
    Mrs. Harris war derart in den Anblick des Bildes vertieft, daß sie Mr. Geoffrey Lockwood nicht nach Hause kommen hörte; er durchquerte das Wohnzimmer, betrat sein Arbeitszimmer und ertappte sie bei etwas, was sie selbst genannt hätte. Ada Harris war im Grunde keine Schnüfflerin, und als sie nun sozusagen in flagranti erwischt worden war, beeilte sie sich, das Glas des Bilderrahmens heftig mit dem Staubtuch zu bearbeiten.
    Mr. Lockwood, einen merkwürdigen, ungewohnt finsteren Ausdruck in seinem sympathischen, ansprechenden Gesicht, trat zu Mrs. Harris, nahm ihr wortlos die Fotografie aus der Hand und stellte sie an ihren Platz zurück. Wie ein begossener Pudel stand Mrs. Harris da.
    Das peinliche Schweigen mußte unbedingt gebrochen werden. Mrs. Harris sagte: «Ein sehr schönes Mädchen!»
    Mr. Lockwood gab keine Antwort, und da er ihr halb den Rücken zukehrte, konnte sie seine düstere, so gar nicht zu ihm passende Miene nicht sehen. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er noch jung zu nennen; er hatte rotblondes Haar, blaue Augen und ausgesprochen männliche Gesichtszüge, während der Mund eine leichte Schwäche verriet, die auch der kurz gehaltene Schnurrbart nicht gänzlich verbarg. Für gewöhnlich wirkte er immer ein wenig verwirrt und geistesabwesend, was Mrs. Harris, die eine verheiratete Tochter und Enkelkinder besaß und deren mütterliche Instinkte leicht zu wecken waren, von Anfang an für ihn eingenommen hatte.
    Da auf ihre Bemerkung keine Reaktion erfolgt war, ließ Mrs. Harris einen zweiten Versuchsballon steigen. Sie fragte: «Wo ist das? Was ist das für ein Gebäude? Sieht aus wie ein Gefängnis.»
    «Der Kreml», erwiderte Mr. Lockwood kurzangebunden und warf dann plötzlich ohne ersichtlichen Grund den Packen Schreibpapier, den er gerade besorgt hatte, mit heftiger Gebärde auf den Schreibtisch. «Zum Teufel mit ihnen!» schimpfte er, und in seiner Stimme schwang eine solche Wut mit, daß Mrs. Harris vor Schreck einen kleinen Schrei ausstieß und sich dann entschuldigte: «Es tut mir leid, Sir, es war nicht meine Absicht...»
    Mr. Lockwood wandte sich zu ihr und sagte: «Nein, Sie habe ich nicht gemeint, Mrs. Harris.» Er richtete den Blick auf das Foto, durch das junge Mädchen hindurch auf die Mauer hinter ihr und fuhr fort: «Sondern die da», und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: «und unser gottverdammtes stures Foreign Office. Entschuldigen Sie, Mrs. Harris, ich wollte Sie nicht erschrecken.»
    «Und ich wollte nicht schnüffeln», sagte Mrs. Harris. «Nur... ich hatte das Bild noch nie bei Ihnen gesehen, und als ich heute hereinkam und es plötzlich da stehen sah, und das Mädchen war so wunderschön, daß ich einfach nicht anders konnte...»
    «Ich weiß», sagte Mr. Lockwood. «Bis jetzt brachte ich es nicht übers Herz, das Bild aufzustellen, aber da ich glaubte, das Foreign Office würde nun endlich etwas für mich tun...» Er beendete den Satz nicht, fügte jedoch etwas anderes hinzu, das Mrs. Harris gleichermaßen in Verwirrung brachte: «Sie ist Russin.»
    Verwirrung ist nicht eigentlich das Wort, um Mrs. Harris’ Gefühle und ihre brennende Neugier zu beschreiben; es bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, sich im Zaume zu halten. Davon hatte sie schon mal gehört. Aber

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