Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
den Tag, als sie mit Mrs. Butterfield die Totozettel ausgefüllt hatte, und erinnerte sich der seltsamen Gewißheit, das begehrte Kleid zu gewinnen, die sie damals erfüllt hatte. Das Ergebnis stimmte dann freilich mit dem überein, was sie aus Erfahrung wußte. Das waren die Enttäuschungen des Lebens, und doch — wenn man es genau nahm war es denn wirklich so? Sie hatte hundert Pfund gewonnen, nein mehr: einhundertzwei Pfund, sieben Schilling und neuneinhalb Penny.
Warum dieser sonderbare Betrag? Welche Nachricht für sie und welche Bedeutung mochte sich darin verbergen? Denn die Welt der Mrs. Harris war mit Signalen, Zeichen, Botschaften und Vorzeichen vom Himmel erfüllt. Da der Preis für ein Dior-Kleid vierhundertfünfzig Pfund betrug, blieben noch dreihundertfünfzig Pfund, die völlig außerhalb ihrer Möglichkeiten lagen. Aber warte mal! Eine Erleuchtung überkam sie, sie knipste die Lampe an und richtete sich vor lauter Erregung im Bett auf. Es waren ja gar nicht mehr dreihundertfünfzig Pfund! Sie hatte nicht nur ihre hundert Pfund auf der Sparkasse, sondern einen Anfang von zwei Pfund, sieben Schilling und neuneinhalb Penny für die zweiten hundert, und wenn sie die erst geschafft hätte, würden die dritten hundert Pfund nicht mehr so schwierig sein.
«So geht’s!» sagte Mrs. Harris laut zu sich selber. «Ich werde es kriegen, und wenn ich das Letzte dafür hergeben muß!» Sie stieg aus dem Bett, suchte Papier und Bleistift und fing an zu rechnen.
Nie in ihrem Leben hatte Mrs. Harris mehr als fünf Pfund für ein Kleid ausgegeben — diesen Betrag schrieb sie auf den Zettel der geradezu phantastischen Summe von vierhundertfünfzig Pfund gegenüber. Hätte Lady Dent einen Preis von fünfzig, sechzig Pfund für die wunderbaren Kreationen in ihrem Schrank genannt, dann wäre es durchaus möglich gewesen, daß sich Mrs. Harris die ganze Sache sofort aus dem Kopf geschlagen hätte — nicht nur wegen des Preisunterschiedes, den sie nicht zu zahlen gewillt war, sondern auch der Qualität wegen, die ihr, wie sie glaubte, bei ihrer Stellung nicht zukam.
Doch die Ungeheuerlichkeit des Betrages verschob das ganze Problem. Was erweckt denn in einer Frau das Verlangen nach Chinchilla oder sibirischem Zobel, nach einem Rolls-Royce oder nach Juwelen von Cartier oder van Cleff & Arpels, nach dem teuersten Parfüm, dem teuersten Restaurant, dem teuersten Wohnviertel und so weiter und so weiter? Gerade die aberwitzige Höhe des Preises bürgt doch für die Wertschätzung ihrer Weiblichkeit und ihrer Person. Und Mrs. Harris hatte einfach das Gefühl, wenn man ein Kleid besaß, das so schön war, daß es vierhundertfünfzig Pfund kostete, dann blieb einem auf Erden nichts mehr zu wünschen übrig. Ihr Bleistift glitt nun über das Blatt.
Sie verdiente drei Schilling die Stunde. Sie arbeitete täglich zehn Stunden, wöchentlich sechs Tage, jährlich zweiundfünfzig Wochen. Mrs. Harris bohrte die Zungenspitze in die Backe und wandte das Einmaleins an, mit dessen Hilfe sie zu der Zahl von vierhundertachtundsechzig Pfund pro Jahr gelangte — genau der Preis für ein Galaballkleid von Dior einschließlich des Fahrgeldes nach Paris und zurück. Mit gleicher Entschlossenheit und Energie machte sich Mrs. Harris nun an die zweite Spalte: Miete, Steuern, Lebensmittel, Medizin, Schuhe und all die kleinen Nebenkosten des Lebens, die ihr einfielen. Das Ergebnis war, nachdem sie die Ausgaben von den Einnahmen abgezogen hatte, bedrückend. Viele Jahre unerbittlichen Sparens lagen vor ihr, im allermindesten zwei, wenn nicht drei, es sei denn, sie geriete in eine abermalige Glückssträhne oder in einen Wolkenbruch von Trinkgeldern. Doch weder ihre Zuversicht noch ihr Entschluß wurden von diesen Zahlen erschüttert. Im Gegenteil, sie wurden gestählt. «Ich werd’s schaffen!» sagte sie abermals und knipste die Lampe aus. Unverzüglich schlief sie ein, friedlich wie ein Kind, und als sie am andern Morgen aufwachte, war sie nicht mehr traurig, sondern nur ungeduldig und erregt wie ein Mensch, der zu einem großen, unbekannten Abenteuer auszieht.
Offenbar wurde die Sache bereits am nächsten Abend, dem feststehenden Kinotag, als Mrs. Butterfield wie üblich kurz nach acht, der Kälte wegen dick vermummt, erschien und überrascht war, als sie Mrs. Harris, völlig unvorbereitet für einen Ausgang, in der Küche antraf, wo sie einen Prospekt studierte — «Wie läßt sich Geld in den Mußestunden zu Haus verdienen?»
«Wir werden
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