Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
jedoch den Blick auf die Fotografie des jungen Mädchens, die seit dem Tag, an dem Mrs. Harris Mr. Lockwood gebeten hatte, sie nicht wegzutun, auf dem Schreibtisch stand.
Mr. Lockwood legte den Kugelschreiber aus der Hand und sah Mrs. Harris verwirrt an; er war sehr blaß geworden und sagte ein wenig zusammenhanglos: «Wie... Nach Moskau... Sie? Wer ist Mrs. Butterfield? Und was heißt Tombola? Ich verstehe nicht...»
Doch er verstand sehr wohl, hatte sie sehr gut verstanden. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, so stark waren die Empfindungen, die auf ihn einstürmten: Hoffnungen, Ängste, Sehnsüchte und in weiter Ferne der kaum ernst zu nehmende Gedanke an die Möglichkeit einer rettenden Lösung. Vor ihm stand diese quicklebendige, ältliche Frau, die nur dann in seinen Lebens bereich eintrat, wenn sie zum Saubermachen seiner Wohnung kam, die sich ihm gegenüber stets gleichbleibend verhalten hatte, bis auf das eine Mal, das er am liebsten ungeschehen gemacht hätte, als er ihr seine unglückliche Liebesgeschichte anvertraut und sie ihm so mitfühlend zugehört hatte. Da stand sie, auf ihren Staubbesen gestützt, um den Kopf ein Tuch, angetan mit ihrer unscheinbaren Arbeitskleidung, und teilte ihm — wenn er seinen Ohren trauen durfte — mit, daß sie am Sonntag gegen Abend in Moskau wäre. Das ungewöhnliche Leuchten in ihren Augen machte das Unglaubhafte glaubhaft. Moskau! Liz! Die Möglichkeit, mit ihr Kontakt aufzunehmen! Er sah Mrs. Harris noch immer verwirrt an. Das war natürlich völlig ausgeschlossen. Er nahm mit zitternder Hand eine Filterzigarette aus dem Kästchen auf seinem Schreibtisch, steckte sie verkehrt herum zwischen die Lippen und hielt ein Streichholz dran. Unmöglich!
Ada Harris mit ihrem gewitzten Köpfchen konnte in seiner Seele lesen wie in einem offenen Buch; ihr entging kein Wechsel seiner Gesichtsfarbe, keine fahrige Bewegung, keine Nuance seines Mienenspiels. Sie wußte genau, was er dachte, denn es war das gleiche, was auch ihr im Kopf herumging.
Endlich fand Mr. Lockwood seine Sprache wieder. «Können Sie mir das bitte noch einmal wiederholen, Mrs. Harris? Haben Sie wirklich Moskau gesagt?»
«Ja. Pauschalreise 6A», erwiderte Mrs. Harris. «Ich kann Ihnen die Prospekte mitbringen, wenn es Sie interessiert. Die Sache ist richtig spaßig. Ich hatte mir ein Los gekauft, weil ich so gern einen Farbfernseher gewinnen wollte, und statt dessen...» Sie hielt inne, da Mr. Lockwoods neuerliche Fahrigkeit offensichtlich mit einer Äußerung von ihr zu tun hatte. Er packte die Zigarette, um sie aus dem Mund zu nehmen, am brennenden Ende, warf sie fluchend auf den Boden, trat heftig mit dem Fuß darauf und schüttelte seine versengten Finger; sein Gesicht, eben noch totenblaß, wurde plötzlich feuerrot, und er stützte den Kopf in die Hände. Mrs. Harris hielt den Zeitpunkt für gekommen, wenn auch nicht mit allem, was ihr in ihrer Phantasie so vorschwebte, so doch mit dem Teil herauszurücken, den jedermann nur vernünftig finden konnte. Sie sagte: «Ich könnte doch versuchen, Verbindung mit der jungen Dame aufzunehmen...» Sie starrte das Bild auf dem Schreibtisch an. «Ich könnte ihr doch einen Brief oder eine Nachricht überbringen, meinen Sie nicht?»
Mr. Lockwood war bis ins Innerste aufgewühlt; mit leisem Stöhnen nahm er die Hände von der fieberheißen Stirn und sagte: «Oh, Mrs. Harris, ist das wahr? Würden Sie das für mich tun? O mein Gott, ein Brief! Das würde für sie, für uns beide einen Halt bedeuten. Wir wären miteinander in Verbindung. Eine Brücke wäre geschlagen!»
Doch gleich darauf kam die Ernüchterung, und er fuhr in dumpfem Ton fort: «Aber das Ganze ist natürlich völlig unmöglich. Es ist sehr freundlich, daß Sie mir das anbieten, Mrs. Harris, aber ich kann das nie und nimmer annehmen.»
«Warum nicht?»
«Es ist zu gefährlich.»
«Zu gefährlich?» sagte Mrs. Harris spottend. «Aber was soll daran gefährlich sein, Mr. Lockwood? Die Leute bei Intourist waren so nett und höflich, die haben alles für uns arrangiert, die ganze Reise mit allem Drum und Dran. Verlassen Sie sich auf mich, Mr. Lockwood, ich mach das schon. Ich werde mich mit der jungen Dame treffen und ihr den Brief zustecken. Wer soll das schon bemerken?»
Mr. Lockwood, der sich inzwischen wieder einigermaßen in der Gewalt hatte, sagte: «Mrs. Harris, den Russen liegt das Mißtrauen im Blut. Die wittern überall Spione. Nichts läßt sie mehr rot sehen als der Versuch
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