Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
eines Ausländers, heimlich mit einem Sowjetbürger Kontakt aufzunehmen. Man wird Sie...» Es lag ihm auf der Zunge, ihr zu sagen, von dem Augenblick an, da sie russischen Boden betrat, werde sie ständig überwacht, doch dann fiel ihm ein, daß es Unsinn sei, ihr Angst zu machen und ihr damit womöglich den Urlaub zu verderben, zumal die Überwachung der Touristen völlig unauffällig und reine Routinesache war und keine Belästigung darstellte.
Doch neben diesen Überlegungen sah er den Brief an Lisaweta Nadjeschda Borowaskaja im Geiste bereits vor sich; ihm war, als versengten die flammenden Worte schon das Papier. Lisaweta, Liz, Liz, Liz... auch sein Blick richtete sich nun auf das Bild des schönen Mädchens. Ers sagte: «Falls man den Brief bei Ihnen findet, werden Sie die größten Unannehmlichkeiten haben... und Liz ebenfalls.»
Je länger er sprach, desto mehr nahm Mrs. Harris’ Zuversicht und Entschlossenheit zu. Die Übermittlung einer Nachricht hatte in ihren Gedanken im Grunde keine allzu große Rolle gespielt, ihre Phantasie war weit mehr von dem Wunsch beflügelt worden, Liz außer Landes zu bringen. Und nun tat Mr. Lockwood so, als sei selbst eine harmlose Briefübergabe — deren Gefährlichkeit ihr im übrigen keinen Augenblick lang einleuchten wollte — eine Staatsaktion. Sie stellte den Mop beiseite, trat näher an den Schreibtisch heran und sagte: «Aber Mr. Lockwood, wer soll sich schon für jemand wie mich interessieren, eine alte Putzfrau, die mit ihrer Freundin und einer ganzen Anzahl anderer Touristen nach Moskau fährt, um die Sehenswürdigkeiten zu bestaunen? Glauben Sie denn, daß ich mit dem Brief in der Hand dastehe und die junge Dame durch Lautsprecher ausrufen lasse? Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen, Mr. Lockwood. Das hier ist eine einmalige Gelegenheit für Sie.»
Mr. Lockwood gab nach. Er sagte: «Mrs. Harris, wenn Sie das für mich täten.... ich würde es Ihnen bis an mein Lebensende nicht vergessen. Mir war nicht klar, daß Sie ja die ganze Zeit mit Ihrer Reisegruppe zusammen sind.»
«Also abgemacht!» sagte Mrs. Harris höchst zufrieden. «Sobald Sie mir den Brief geben, werde ich...»
«Ich setze mich sofort hin und schreibe ihn», sagte Mr. Lockwood. «Ich werde Ihnen den Brief nicht nur anvertrauen, ich werde ihn Ihnen auch vorlesen.»
«Vorlesen!» rief Mrs. Harris aus. «Nein, das kommt nicht in Frage. Ich stecke meine Nase nicht in die Privatangelegenheiten anderer Leute.»
«Aber in meinem Fall müssen Sie es tun», beharrte Mr. Lockwood und setzte sich an die Schreibmaschine. «Sie kennen die ganze Geschichte. Damit es für Liz leichter ist, schreibe ich ihr auf russisch. Aber es wäre nicht korrekt von mir, Ihnen einen Brief mitzugeben, dessen Inhalt Sie nicht kennen und von dessen Harmlosigkeit Sie sich nicht überzeugen konnten.»
Mrs. Harris faltete die Hände über der Kittelschürze; ihre verschmitzten Äuglein sprühten. Ihr war, als lege sich die Liebe mit all ihrer Romantik wie ein Heiligenschein um ihr Haupt.
«Übrigens», sagte sie, «wie kann ich Miss Liz eigentlich finden?»
Mr. Lockwood sah von der Maschine auf; er hatte gerade einen Bogen Schreibpapier eingespannt. Er erwiderte: «Das ist ganz einfach. Sie haben vielleicht bemerkt, wie mir das Herz klopfte, als Sie die Nummer Ihrer Pauschalreise erwähnten, denn Liz betreut als Intourist-Fremdenführerin die Gruppenreise 6A nach Moskau.»
Wie so viele hervorragende Schriftsteller schrieb Mr. Lockwood miserable Liebesbriefe; von seinem sonst so anspruchsvollen literarischen Geschmack und seinem glänzenden Stil war nichts zu merken. Da standen Sätze wie: «Ich dachte, ich würde verrückt, als ich Dich nicht mehr sehen durfte» und «Es gab und gibt für mich nur Dich, und nie wird jemals ein anderer Mensch in meinem Herzen wohnen als Du, meine einzig Geliebte», und so ging es noch seitenlang weiter mit ähnlich honigsüßen Floskeln und Erklärungen darüber, wie es zu seiner Abschiebung aus Rußland gekommen war und daß er wolle, um die Trennung zu beenden. Er brauchte eine weitere Seite, um sie seiner zu versichern.
Doch als er Mrs. Harris den Brief dann vorlas, fand sie jedes einzelne Wort einfach , und ein süßer Schauer erfaßte sie, und sie hatte das Gefühl, auf Flügeln davongetragen zu werden. Ein bißchen war es so, als würden die Worte ihr gelten.
Ein paarmal schniefte sie hörbar, und
Weitere Kostenlose Bücher