Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
nicht am Flughafen gewesen? Hatte sie, Ada, sich da auf etwas eingelassen, was sie besser nicht getan hätte? Steckte Liz bereits in Schwierigkeiten? Sie erinnerte sich an das Foto und an Mr. Lockwoods Gesichtsausdruck. Ein Gefühl, mehr von Trauer und Furcht, überkam sie.
    Doch die Entdeckung, daß sie beschattet wurden, war zweifellos beunruhigend, und sie holte den Brief aus seinem Versteck hervor. Während Mrs. Butterfield die Funktionsfähigkeit des Badezimmers erkundete, tat Ada den Brief vorsichtshalber wieder in Ihre Handtasche.
    Absolut ahnungslos, was die gemachten Entdeckungen anging, erschien Mrs. Butterfield in der Badezimmertür und verkündete: «Jetzt läuft das warme Wasser, kochend heiß sogar. Aus allen Hähnen.»

12

    Am nächsten Tag wurden Mrs. Harris, Mrs. Butterfield und die anderen Reiseteilnehmer auf das ein für allemal festgelegte Besichtigungsprogramm der Pauschalreise 6A geschickt. Die Fremdenführerin war pünktlich erschienen, um sie zum Frühstück abzuholen, das Zimmermädchen hatte sich vorher schon im Zimmer zu schaffen gemacht, und ganz kurz war auch ein Mann im Regenmantel aufgetaucht. Als die Reisegesellschaft sich vor dem Hotel versammelte und auf den Bus wartete, sah Ada sich die anderen Touristen genau an. Nach der Entdeckung am Vorabend, daß ihr Zimmer durchsucht worden war, wollte sie ihre scharfe Beobachtungsgabe nutzen. Zwei von ihnen — einen Mann und eine Frau — hatte sie bisher nicht gesehen; ihr fiel auf, daß die Kleidung, die sie trugen, eine Nuance anders geschnitten war als sonst bei Ausländern. Waren das nun Spitzel? Und wenn, was um Himmels willen wollten sie herauskriegen?
    Sie war schon fast versucht, sich zu entschuldigen, auf ihr Zimmer zurückzugehen und das zu tun, worum Violet sie bereits mehrmals gebeten hatte: den Brief zu zerreißen (falls es darum ging) und ihn in die Toilette zu werfen, als ihr einfiel, daß die Spülung nicht funktionierte. Doch noch etwas hinderte sie daran, und zwar der Gedanke, daß sie vor ihrer Rückkehr nach England doch vielleicht irgendwo durch Zufall Liz begegnen, das schöne, traurige Gesicht in irgendeiner Menschenmenge entdecken könnte.
    Staunend marschierten sie über das Kopfsteinpflaster des Roten Platzes — das russische Disneyland — und wurden von der atemberaubenden Wucht und den gigantischen Mauern, Türmen und Kuppeln schier erdrückt.
    Sie bestaunten pflichtgemäß die Kanone Zar-Puschka, die so gewaltig war, daß man mit ihr die steinerne Kanonenkugel von einem Meter Durchmesser nie hätte abschießen können, denn die dazu nötige Schubkraft hätte den halben Kreml weggefegt. Auch zeigten sie sich geziemend beeindruckt von der Riesenglocke Zar-Kolokol aus dem 18. Jahrhundert, die nie geläutet hatte, da das Gerüst unter ihrem Zweihundert-Tonnen-Gewicht zusammengebrochen und die Glocke beim Sturz gesprungen war. Das dabei herausgebrochene Stück war so groß, daß man das Innere der Glocke betreten und darin umhergehen konnte.
    Mrs. Harris sagte: «Wozu ist das gut, wenn es nicht funktioniert? »
    Mrs. Butterfield sagte: «Ein wahrer Segen, daß es das nicht tut. Wir wären sonst bis zum Lebensende stocktaub. Aber es macht sich alles sehr malerisch.» Sie fügte hinzu: «Sind diese Kirchen nicht entzückend? Bei uns zu Hause gibt es solche nicht.»
    «Die funktionieren auch nicht, jedenfalls nicht mehr», bemerkte Mrs. Harris. Es war ihr nicht entgangen, daß das ihr unbekannte Paar sich immer in Hörweite von ihr und Violet hielt, wohin sie sich auch wandten. Nachdem sie den Roten Platz umrundet hatten — die märchenhaft buntfarbene, riesige Basilius-Kathedrale lag zum Glück nicht in der Schußlinie der hypermodern anmutenden, auf hohen Sockeln ruhenden Raketen aus rostfreiem Stahl, der Stolz der friedliebenden Moskowiter — , bummelten sie am staatlichen Kaufhaus GUM entlang, das weniger einem Kaufhaus als einem Palast glich, und am Hotel mit seinen 6000 Betten vorbei, das wiederum ein Warenhaus hätte sein können, und bald schwindelte es ihnen vor lauter regenbogenbunten Kathedralen, die ihre Zwiebeltürme in den russischen Himmel reckten. Schließlich näherten sie sich dem Hauptereignis der morgendlichen Führung, dem Lenin-Mausoleum, dessen eckige, gedrungene Form nach all den Kirchen und Türmen mit ihren geschwungenen oder aufragenden Konturen ganz ungewohnt anmutete — ein wuchtiger, niedriger Bau aus rotem Granit und einem Querstreifen aus schwarzem Marmor an der

Weitere Kostenlose Bücher