Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
samt ihren erstaunlichen Bewohnern bot. Bei genauerem Hinsehen glaubte man sich des Eindrucks nicht erwehren zu können, daß selbst ganz gewöhnliche, durch die Straßen hastende oder ihrer Arbeit nachgehende Bürger sich immer wieder verstohlen umsahen, als erwarteten sie, daß ihnen im nächsten Moment ein Polizist die Hand auf die Schulter legte. Es konnte doch weiß Gott nicht sein, dachte Mrs. Harris, daß man eine ganze Nation immerzu verdächtigte, irgend etwas im Schilde zu führen, doch die Unmenge von Polizisten, Milizsoldaten und Angehörigen des Geheimdienstes, die auch in Zivil als solche zu erkennen waren, und auf der anderen Seite das scheue und irgendwie schuldbewußte Gebaren der Bevölkerung und ihr Widerstreben, mehr als drei Worte mit einem Fremden zu wechseln, gaben einem das Gefühl, daß es vielleicht doch so war. Aber das war schließlich eine Sache, die sie als Ausländerin nichts anging, und Ada dachte schon bald nicht mehr an den Brief in ihrer Handtasche.
Wenn es bei der ganzen, so gelungenen Reise doch eine bittere Enttäuschung gab, so hielten sowohl Mrs. Harris wie Violet es für richtiger, nicht darüber zu sprechen. Und zwar handelte es sich um Mrs. Butterfields Pelzmantel. Ada schwieg, weil sie bis jetzt nirgendwo einen derartigen Gegenstand gesehen hatte, den man hätte käuflich erwerben können, und Mrs. Butterfield enthielt sich jeder Äußerung darüber, weil sie als geborene Pessimistin gegen Enttäuschungen gefeit war und von vornherein nicht damit rechnete, daß ihre Wünsche und Hoffnungen in Erfüllung gingen.
Ehe wenigen Mäntel, denen sie bei den verschiedenen Führungen durch die Stadt begegneten, waren abgetragene und meist schmutzverkrustete Pelze, die Bauern vom Lande trugen. Man war zwar nicht im Winter, doch abends wurde es empfindlich kühl, und auch dann zogen die Menschen nur dicke Wollmäntel an oder mummten sich in Schals und Strickjacken ein. Nicht einmal der bescheidenste Bisampelz — das Fell eines minderwertigen, von der Rauchwarenindustrie wenig geachteten Nagers — war zu erblicken, weder in dem großen Kaufhaus GUM noch in einem der vielen anderen Geschäfte. Die meisten russischen Männer trugen Pelzkappen, die von irgendeinem anonymen Vierfüßler stammten, und damit hatte sich’s.
Hinter vorgehaltener Hand erfuhr Ada von den anderen Mitreisenden, daß das wohl versorgt mit Schätzen sei, die man gegen ausländische Währung erstehen könne, doch da offenbar keiner in der Gruppe das nötige Kleingeld hatte, war ein Besuch dieses exklusiven Konsumtempels nicht vorgesehen. Auch neigte sich der Aufenthalt in Moskau dem Ende zu; am nächsten Tag sollte die Gruppe wieder abfliegen.
Ada Harris, die sich gern selbst ein Bild davon machen wollte, ob es für ihre Freundin auf dem Pelzsektor wirklich nichts Erschwingliches gab, hatte gefragt, ob sie und Mrs. Butterfield am Nachmittag nicht ins gehen könnten, um dies und jenes einzukaufen.
Die Antwort der Fremdenführerin war ein strenges «Njet» gewesen. «Völlig unmöglich», hatte sie gesagt. «Das bei dieser Tour nicht vorgesehen. Außerdem Sie werden feststellen, daß alles viel zu teuer.»
Praxewna Ljeljeschka hatte ihre Anweisungen: Keine der beiden Frauen war auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Ada mußte sich geschlagen geben, wie sehr sie es auch bedauerte, ihrer Freundin eine so herbe Enttäuschung bereiten zu müssen. Doch das war vor einem Telefongespräch, das der Genosse Oberst Gregor Michailowitsch Dugliew, Chef der Abteilung Spionage-Abwehr und für Innere Sicherheit, und Waslaw Wornow, Inspektor im selben Ressort, miteinander führten und in dem der Oberst, nachdem er hörte, welches negative Ergebnis die Überwachung der beiden Damen bisher gezeitigt hatte, seinen Untergebenen einen Rüffel erteilte und anordnete, daß das Paar ab sofort ganz streng zu bewachen sei.
Übersetzt hätte der Wortwechsel sich etwa so angehört:
GREGOR MICHAILOWITSCH DUGLIEW: Genosse Inspektor Wornow, haben Sie einen Bericht über die beiden englischen Agentinnen Harris und Butterfield?
WORNOW: Nichts. Abgesehen von dem bedauerlichen Zwischenfall mit dem Papierhändler waren die beiden sich keine Sekunde selbst überlassen, sondern entweder ständig mit ihrer Reisegruppe zusammen oder sie wurden sogar noch schärfer beobachtet.
DUGLIEW: Was wollen Sie damit sagen... waren die beiden sich keine Sekunde selbst überlassen!
WORNOW: Ja, genau das, Genosse Gregor
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