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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Vorderfront, der den Namen LENIN in kyrillischer Schrift trug. Links und rechts davon befand sich je eine Terrasse aus ukrainischem Granit.
    Eine dunkle Menschenschlange — Männer und Frauen in unansehnlicher Kleidung — wartete seit Stunden geduldig auf Einlaß.
    Die Intourist-Führerin sagte: «Wir besichtigen nun das Mausoleum des großen Lenin, des glorreichsten Helden unseres Volkes. Weil Sie sind Touristen, man wird Sie vorlassen vor den anderen. Sie bitte leise sein, und wenn Sie haben den großen Mann Ehre erwiesen, Sie gehen bitte weiter, weil viele Menschen warten.»
    «Also so was», sagte Mrs. Harris, «ist das hier jeden Tag so?»
    «Ja, Madam, selbst im Winter.»
    Violet sagte: «Wer liegt hier, hat sie gesagt?»
    «Lenin. Er hat die Revolution gemacht. Das ist sein Grabmal, und man kann ihn sich ansehen.»
    Sie gingen im Gänsemarsch durch das Portal, vorbei an den Wachen — zwei Soldaten in tadellosen Uniformen mit aufgepflanztem Bajonett — und weiter eine Treppe hinunter. Es war so dunkel, daß man kaum etwas sah.
    «Puh!» bemerkte Violet. «Hier riecht’s aber muffig.»
    Ada stieß sie in die Seite. «Schsch! Ja, du hast recht, aber wir sind schließlich hier zu Gast, und es ist nicht höflich, seine Gastgeber zu kritisieren.»
    Irgendwo aus der Dunkelheit ertönte ein leises mahnendes «Schsch!»
    Sie waren jetzt in einem unterirdischen Raum, der offenbar von dem matten Licht beleuchtet wurde, das in dem in der Mitte befindlichen Glassarg brannte.
    «Großer Gott», flüsterte Mrs. Butterfield, «den haben sie aber prächtig aufgebahrt.»
    «In seinem besten Anzug», erwiderte Mrs. Harris ebenso leise, «genau wie mein Mann. Aber ich habe nicht erlaubt, daß die Leute ihn sich ansehen, weil er das nicht gewollt hätte. , habe ich zu dem Mann vom Beerdigungsinstitut gesagt, und...»
    Wieder ertönte das mahnende «Schsch!»
    Sie standen jetzt vor dem Sarg und blickten auf die kleine Gestalt mit der hohen Stirn, den geschlossenen Augenlidern und dem spitz zulaufenden Kinnbart hinunter.
    Mrs. Butterfield mußte es natürlich aussprechen oder — besser gesagt — wispern, da jedes laute Wort in dieser Katakombe ein Sakrileg bedeutet hätte: «Man könnte denken, er schliefe nur.»
    «Nein, das finde ich nicht», entgegnete Mrs. Harris, und ihr Herz war plötzlich von Trauer und Mitleid erfüllt. «Er sieht aus wie eine von Madame Tussauds Wachsfiguren, und wenn du mich fragst, sieht er da sogar noch echter aus.» Urplötzlich hatte Mrs. Harris das Gefühl, es nicht eine Minute länger aushalten zu können, und sie raunte Violet zu: «Es ist eine Schande! Warum hat man den armen kleinen Kerl, nachdem er nun schon mal tot ist und sich nicht wehren kann, nicht anständig begraben, wo man angeblich so große Stücke auf ihn hält? Ihn so herauszuputzen und als Sehenswürdigkeit zur Schau zu stellen, ist nicht recht. Jeder x-beliebige glotzt da durch den Glasdeckel, und er darf nicht mal sagen: »
    Sie merkte, wie sie vorwärts geschoben wurde, und hörte eine Stimme sagen: «Bitte weitergehen.»
    «Wirklich nicht schön für den armen kleinen Kerl», sagte Ada und ging weiter.
    Mrs. Harris stellte fest, daß Moskau immer wieder aufregende und oft wunderschöne Überraschungen bot — es war, als zöge man einen Gewinn nach dem anderen aus der Lotterietrommel. Man wußte vorher nie, was man bekam oder erlebte. Das allgemeine Straßenbild, das sich ihnen bot, stimmte sie traurig: die schlecht sitzenden Anzüge der Männer, die Strickjacken, dicken Wollschals und Kopftücher der Frauen, aber mehr noch die gebückten Gestalten in Schwarz, alte Frauen und auch junge, die die Straßen fegten, in der Hand jene dicken Reisigbesen, auf denen im Märchen die Hexen geritten waren. Auch entgingen ihr die großen, schwarzen, von einem Fahrer gelenkten Limousinen nicht, in deren Fond, bequem zurückgelehnt, wohlgenährte ältere Männer saßen, und sie flüsterte im Bus Mrs. Butterfield zu: «Sieht so aus, als wären die einen bessere Kommunisten als die andern, wie? Genau wie bei uns dürfen die Frauen die Drecksarbeit machen.»
    «Einer muß sie ja machen», erwiderte Mrs. Butterfield philosophisch.
    Doch gleich darauf hieß es wieder aussteigen, und sie schoben sich durch die hinter den dicken roten Kreml-Mauern verborgenen Gewölbe der berühmten Rüstkammer und waren buchstäblich geblendet von dem strahlenden Glanz der Schwerter, Lanzen und

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