Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
wußte auch, daß die Regierung in manchen Fällen ein anderes Machtmittel einsetzte, die Abteilung für Internationalen Kulturaustausch, deren Hauptaufgabe es war, beispielsweise englische Lords und Ladies oder italienische Herzöge, orientalische Fürsten sowie nord- und südamerikanische Millionäre zu becircen, daß sie es sich zur Ehre anrechneten, dem kommunistischen Rußland von allem, was es haben wollte, das beste zu liefern. Wenn das junge Mädchen im Recht war — und die von ihr vorgelegten Schriftstücke schienen das zu bestätigen — , konnte er in erhebliche Schwierigkeiten geraten.
Die junge Intourist-Führerin verließ, gefolgt von Mrs. Ada Millicent Harris und Mrs. Violet Mabel Ernestine Butterfield, mit festen Schritten den Raum und stieg mit den beiden in die vor dem Polizeirevier wartende Limousine. Die Freundinnen waren wieder in Freiheit. Sie sagte: «Zuerst fahren wir in Ihr Hotel und holen Ihre Sachen.»
Mrs. Harris sagte nichts, Mrs. Butterfield, der auf so unmißverständliche Weise bedeutet worden war, den Mund zu halten, schwieg ebenfalls. Der unwillige, sich ruckhaft aufwärts bewegende Fahrstuhl brachte sie in den siebten Stock, wo ihnen Mrs. Bärbeiß, von dem drohenden Blick des jungen Mädchens eingeschüchtert, wortlos den Schlüssel reichte, und sie betraten das Zimmer der beiden Reisenden.
Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, drehte Mrs. Harris sich ruhig um und sagte zu ihrer Retterin: «Hallo, Liz.»
14
Nachdem sie den Brief gelesen hatte — ganz offensichtlich hatte Mr. Lockwood, was den Inhalt des Briefes anging, Mrs. Harris gegenüber die volle Wahrheit gesagt — und das Schluchzen und Lachen, der Jubel, die Umarmungen und die Küsse, kurz, der erste Freudentaumel vorüber war, trocknete Lisaweta Nadjeschda Borowaskaja sich die Augen und sagte, mit Rücksicht auf etwaige verborgene Mikrophone, im Flüsterton: «Oh, Lady Putz, Sie haben mich zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht. Ich habe nie aufgehört, Geoffrey zu lieben. Das Leben war eine einzige Qual für mich, da ich nicht wußte, ob er lebt oder tot ist oder mich vielleicht vergessen hat. Oh, Mylady, noch einen Kuß für Sie, als Dank für all das, was Sie für mich getan haben! Ich weiß, daß ich Ihnen und dem lieben Gott bis ans Ende meines Lebens dankbar sein muß und daß ich nie, nie, nie mehr zu zweifeln brauche. Ach, ich wage gar nicht daran zu denken, aber vielleicht könnten Sie, Mylady, mir helfen, das Land zu verlassen, um für immer bei Geoffrey zu sein?»
In Anbetracht der Erlebnisse, die sie und Mrs. Butterfield gerade in den letzten Stunden und überhaupt in den letzten Tagen gehabt hatten, dachte Mrs. Harris, das sei , doch das junge Mädchen war so erfüllt von Freude, weil sie endlich ein Lebenszeichen von ihrem Liebsten erhalten hatte, daß sie es nicht übers Herz brachte, Liz zu enttäuschen, und so sagte sie: «Wir werden sehen.» Das war nicht nur so hingesagt; Ada hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, daß vielleicht doch noch etwas zu machen sei. Aber im Augenblick war sie ganz von einer anderen unmittelbar drohenden Gefahr in Anspruch genommen. Violet Butterfield war nicht nur eine Frau von enormer Körperfülle, auch ihre Neugier bewegte sich in den gleichen Proportionen. Sie hatte erlebt, wie ihre alte Freundin, die genau wie sie aus dem Volke stammte, plötzlich mit «Mylady» angeredet wurde, hatte mit ansehen müssen, wie man sie umschmeichelte und hofierte, umarmte und küßte, während man ihr, Violet, befahl, den Mund zu halten. Ada wußte, was in Violet vorging, der in diesem grotesken, ganz offensichtlich auf einem Mißverständnis beruhenden Durcheinander die Rolle einer Gesellschafterin, besser gesagt, einer Zofe zugefallen war. Ada wußte, daß Violet nicht mehr allzu lange den Mund halten würde. Diese verrückte Verwechslungskomödie, durch die sich buchstäblich im letzten Augenblick die mehr als gefahrvolle Lage der beiden Freundinnen zum Guten gewendet hatte, konnte jeden Moment ein abruptes Ende finden.
Sich die Tränen trocknend, fragte Liz: «Kennen Sie Geoffrey gut? » Und gab sich gleich selbst die Antwort darauf: «Aber sicherlich. Er ist ja ein sehr prominenter Schriftsteller und kennt sicher Gott und die Welt.»
Ada warf Mrs. Butterfield einen verstohlenen Seitenblick zu, der ihr verriet, daß es mit der Selbstbeherrschung ihrer Freundin sehr bald ein Ende hätte. Was auch immer geschah: Hauptsache war, daß
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