Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Leben und von harter Arbeit in gleicher Weise gezeichnet waren, und wie sie, wenn sie bei einem kleinen Beamten um eine Genehmigung oder Erlaubnis oder ein notwendiges Dokument nachsuchten, sofort barsch abgewiesen wurden, nur weil der betreffende Beamte seine Macht ausspielen wollte. Nun, so war die russische Bürokratie nun einmal, und er, Agronsky, war ein Teil von ihr. Aber es machte ihm keine Freude, daß er Ada die folgende Antwort geben mußte: «Ich muß Ihnen leider sagen, Madam, daß wir keine Möglichkeit haben, Ihrer Bitte zu entsprechen. Das junge Mädchen, Lisaweta Nadjeschda Borowaskaja, hat sich gegen das Gesetz vergangen und wird die Folgen tragen müssen.»
Mrs. Harris’ Züge verhärteten sich, doch Angrosky nahm es nicht wahr. «Gegen was für ein Gesetz?» fragte Ada. «Ist es verboten, jemanden zu lieben?»
Der stellvertretende Außenminister sagte: «Das gehört nicht zur Sache.» Ihm entging auch die Röte, die ihr in die faltigen Wangen stieg, und daß ihr zierlicher Körper sich straffte und ihre Augen, die eben noch sanft und freundlich geblickt hatten, mit einemmal funkelten. Und er fügte hinzu: «Es ist ausgeschlossen. Ihr Landsmann wird es Ihnen bestätigen.»
Mrs. Harris sah Sir Harold an und fragte: «Stimmt das?»
Sir Harold sagte: «Ich fürchte, ja.»
Mrs. Harris richtete sich kerzengerade auf ihrem Stuhl auf. «Was werden sie mit ihr machen? »
Sir Harold konnte sich später um keinen Preis der Welt mehr daran erinnern, warum er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Statt ihren Schmerz durch eine Notlüge zu lindern und ihr zu versichern, die junge Russin werde mit einer leichten Strafe davonkommen, hörte er sich sagen: «Wahrscheinlich bekommt sie ein paar Jahre Arbeitslager.»
«Wie dieser Schriftsteller, von dem ich gelesen habe?» rief Mrs. Harris aus.
Sir Harold merkte, daß er einen Fehler begangen hatte, und wollte das Gesagte abschwächen. «So schlimm ist das gar nicht», hob er an, doch das Unglück war geschehen.
Ada Harris faßte Antol Agronsky ins Auge und rief: «Sie Ungeheuer! Mit Ausnahme dieses jungen Mädchens, dessen Leben Sie zerstören wollen, ist mir in diesem Land nicht eine lebende Seele begegnet! Ihr haßt alles und jeden, euch selbst eingeschlossen. Ihr haßt unschuldige Christen, die Gottes Wort verkünden, und ihr haßt die Juden, es sei denn, ihr braucht sie. Wie zum Beispiel den armen Mr. Rubin mit seinem Toilettenpapier. Von wegen Vogelfutter! Alles, was ihr tut, tut ihr heimlich. Wer hier...» Mrs. Harris hielt abrupt inne, so erschrocken war sie über die plötzliche Veränderung, die mit dem stellvertretenden Außenminister vor sich gegangen war. Sein Gesicht war aschfahl; er schwankte, riß sich aber so gut wie es ging zusammen und wischte sich mit zitternder Hand den Schweiß von der Stirn. «W-w-ie b-bitte?» stammelte er. «Was haben Sie da eben von Vogelfutter gesagt?»
Mrs. Harris hatte noch nicht ganz begriffen, daß sie auf eine Goldader gestoßen war, doch eines lag klar zutage: sie hatte diesen strengen, unbeugsamen Mann aus der Fassung gebracht.
«Sie haben es ja gehört. Unzählige Mengen von diesen Sie-wissen-schon-von-was-für-PapierroIlen-ich-spreche werden als Vogelfutter deklariert hier in Ihr Land eingeführt. Nicht mal eine gewöhnliche geschäftliche Transaktion könnt ihr gerade und ehrlich durchführen. Wenn ihr Traktoren kauft, deklariert ihr die wahrscheinlich als Gesichtscreme oder als Kartoffelchips.»
Sir Harold war im Gegensatz zu seinem Freund nicht aus der Fassung gebracht, doch er betrachtete Mrs. Harris durch seine riesige Hornbrille plötzlich mit großer Verwunderung und Hochachtung, denn ihm war ein Licht aufgegangen. Mrs. Harris hatte auf irgendeinem Wege Wind von etwas bekommen, was die Russen unter allen Umständen geheimhalten wollten; niemand durfte etwas davon wissen. Mrs. Butterfield machte ein verdutztes Gesicht.
Agronsky versuchte zu bluffen: «Vogelfutter? Papierrollen? Ich weiß nicht, wovon Sie reden, gute Frau.»
Doch Mrs. Harris ließ ihre Wahrhaftigkeit von niemandem anzweifeln. «Ach, hören Sie doch auf», sagte sie scharf. «In ganz Moskau gibt es nicht eine einzige Rolle Klopapier, das heißt, in eurem ganzen verflixten Land nicht, und das ist nicht nur hier so. Auch in Japan stehen die Leute Schlange danach, und die Afrikaner haben nichts als Palmenblätter. Glauben Sie denn, ich lese keine Zeitungen? Ihr kauft unsere ganzen Vorräte auf, aber ihr habt nicht den Mumm, das zuzugeben,
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