Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
stürmisch. Monsieur Fauvel küßte die eine welke Apfelbacke, Natascha die andere, und dann legte das Mädchen der Scheuerfrau beide Arme um den Hals, weinte dort eine Weile und flüsterte: «Liebste, ich bin so glücklich. André und ich werden...»
«Was Sie nicht sagen!» rief Mrs. Harris, «welche Überraschung! Wie wär’s mit einem Schluck von diesem Kribbelzeug, um es zu feiern?»
Sie hoben die Gläser, und dann wurde es der fröhlichste, strahlendste und glücklichste Abend, den Mrs. Harris in ihrem ganzen Leben mitgemacht hatte.
Zwölftes Kapitel
Und so brach endlich der Tag an, da Versuchung fertig war und Mrs. Harris ihren Schatz, in ungeheure Mengen von Seidenpapier gehüllt und in einen prächtigen Karton gepackt, auf dem in mächtigen Goldbuchstaben DIOR gedruckt stand, in Besitz nehmen konnte.
Am späten Vormittag — Mrs. Harris sollte mit der Nachmittagsmaschine fliegen — hatte sich eine richtige kleine Versammlung im Salon bei Dior eingefunden, und irgendwoher tauchte eine Flasche Sekt auf. Madame Colbert war da, Natascha und Monsieur Fauvel und alle Einrichter, Zuschneider und Näherinnen, die so schwer und getreulich gearbeitet hatten, um ihr Kleid in Rekordzeit fertigzustellen.
Sie tranken auf Mrs. Harris’ Wohl und auf eine gute Reise und überreichten ihr Geschenke: eine echt krokodillederne Handtasche von der dankbaren Madame Colbert, eine Armbanduhr von dem ebenso dankbaren Monsieur Fauvel und Handschuhe und Parfüm von der mehr als dankbaren Natascha.
Die Directrice umarmte Mrs. Harris, drückte sie einen Augenblick an sich, küßte sie und flüsterte ihr ins Ohr: «Sie haben mir viel, viel Glück gebracht, meine Liebe. Vielleicht kann ich Ihnen schon sehr bald schreiben und Ihnen eine großartige Mitteilung machen, die meinen Mann betrifft.»
Auch Natascha nahm sie in den Arm und sagte: «Ich werde nie vergessen, daß ich Ihnen all mein Glück verdanke. Im Herbst werden André und ich heiraten. Bei unserm ersten Kind müssen Sie Pate stehen.»
Monsieur André Fauvel küßte sie auf die Wange und war ihretwegen schrecklich aufgeregt; sie solle auf der Rückreise ja gut acht auf sich geben. Und dann fragte er mit dem aufrichtigen Interesse des Mannes, der sich beruflich mit Geld zu beschäftigen hat: «Haben Sie das Geld für den Zoll auch gut weggesteckt? Es ist besser, Sie lassen es nicht in der Handtasche, damit es Ihnen nicht gestohlen wird.»
Mrs. Harris lächelte ihr wundervolles, zahnlückiges und verschmitztes Lächeln. Zum erstenmal in ihrem Leben gutgenährt, ausgeruht und glücklich, sah sie um Jahrzehnte jünger aus. Sie öffnete die neue Krokodillederhandtasche und zeigte die Flugkarte und den Paß, die letzte grüne Pfundnote, einen Fünfhundertfrank-Schein und ein paar übriggebliebene französische Münzen, genug, um damit bis zum Flugplatz zu kommen. «Das ist alles», sagte sie. «Aber es reicht, bis ich wieder an meiner Arbeit bin. Da findet keiner was zu klauen.»
«O la la! Aber nein doch!» rief Monsieur Fauvel, und seine Stimme drohte vor plötzlicher Angst zu versagen. Auf die Menschen im Salon senkte sich ein entsetztes Schweigen, als der Schatten nahenden Unheils spürbar wurde. «Ich meine doch die Zollgebühren an der britischen douane. Mon Dieu! Haben Sie daran nicht gedacht? Bei sechs Schilling für jedes Pfund des Kaufpreises...» Er rechnete rasch im Kopf. «... macht das einhundertfünfzig Pfund. Wußten Sie denn nicht, daß Sie das zahlen müssen?»
Mrs. Harris sah ihn an: niedergeschmettert — und zwanzig Jahre älter. «Herrgott!» ächzte sie, «hundertfünfzig Lappen! Und ich kann mir nicht einen roten Heller pumpen! Oh, warum hat mir das keiner gesagt? Wie sollte ich denn das wissen?»
Madame Colbert reagierte leidenschaftlich. «La, was erzählen Sie da für Unsinn, André? Wer zahlt denn heute noch Zollgebühren? Glauben Sie wirklich, die adligen Ladies und die reichen Amerikanerinnen täten das? Alle, alle schmuggeln sie, und auch Sie, meine kleine Ada, werden Ihr Kleid schmuggeln...»
Mrs. Harris’ blaue Augen füllten sich mit Unruhe, Furcht und Argwohn. «Dann müßte ich lügen, nicht wahr?» sagte sie und schaute hilflos von einem zum andern... «Mal ein bißchen schwindeln, das macht mir nichts aus... aber richtig lügen! Nein! Dann würde ich ja das Gesetz brechen. Dafür kommt man ins Kittchen.» Und als ihr die ganze grauenvolle Bedeutung dessen aufging, was Monsieur Fauvel gesagt hatte, sank sie plötzlich auf den Flor
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