Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
des grauen Teppichs, bedeckte das Gesicht mit den verarbeiteten Händen und stieß ein verzweifeltes Wimmern aus, das durch das ganze Etablissement hallte, so daß der große Patron höchstselbst herzugelaufen kam. «Ich krieg’s nicht! Es ist eben nicht für meinesgleichen. Ich hätte wissen müssen, wohin ich gehöre. Nehmt es weg... verschenkt es... tut irgendwas damit. Ich fahre heim und denke nicht mehr dran.»
Wie ein Waldbrand verbreitete sich die Geschichte dieses Dilemmas durch das ganze Gebäude. Von allen Seiten eilten Fachleute herbei, um ihren Rat zur Verfügung zu stellen... man solle eine Petition an den britischen Botschafter richten, bis jemand darauf hinwies, wie groß die Achtung der Briten vor dem Gesetz sei, so daß nicht einmal der Botschafter, ja die Königin selbst sich darüber hinwegsetzen könne, auch nicht in einem solchen Fall... Der Patron selber, der Mrs. Harris’ Geschichte kannte, löste das Problem und trennte den Gordischen Knoten mit einem raschen, kräftigen Streich — oder glaubte es wenigstens. «Setzen Sie den Preis für diese gute Frau herab», befahl er dem Buchhalter Fauvel, «und zahlen Sie ihr die Differenz in bar zurück, damit sie den Zoll entrichten kann.»
«Aber, Monsieur», widersprach der entsetzte Fauvel, der jetzt erst erkannte, daß seine Wohltäterin in der Zwickmühle saß, «es ist unmöglich!»
Alle starrten ihn an, als sei er ein giftiges Reptil. «Verstehen Sie denn nicht? Madame hat unwissentlich bereits das britische Gesetz gebrochen, als sie eintausendvierhundert Dollar ausführte, die sie sich illegal im Vereinigten Königreich von ihrer amerikanischen Freundin einwechseln ließ. Wenn die arme Frau nun beim britischen Zoll auf dem Flughafen erscheint und ein fünfhundert Pfund kostendes Kleid und weitere hundertfünfzig Pfund in bar vorlegt, um die Gebühren zu entrichten, dann würde ein Verhör folgen, wie sie als britische Staatsangehörige an diese Beträge gekommen sei; und es würde einen Skandal geben...»
Sie schauten den unglücklichen Buchhalter zwar immer noch an, als ob er eine Königskobra wäre, aber sie wußten, daß er recht hatte. «Laßt mich nach Hause und sterben», wimmerte Mrs. Harris.
Natascha kniete neben ihr, die Arme um sie geschlungen. In einem babylonischen Stimmgewirr des Mitgefühls redeten alle durcheinander. Da hatte Madame Colbert eine Inspiration. «Wartet!» rief sie, «ich hab’s!» Sie ließ sich ebenfalls auf die Knie neben Mrs. Harris nieder. «Liebe Mrs. Harris, wollen Sie mich bitte anhören? Ich kann Ihnen helfen. Ich will Ihnen Glück bringen wie Sie mir...»
Mrs. Harris ließ die Hände sinken und zeigte das Gesicht eines alten, erschrockenen Kapuzineräffchens.
«Ich mache nichts Unehrliches... ich lüge auch nicht.»
«Nein, nein. Vertrauen Sie mir nur. Sie sollen nichts als die unbedingte Wahrheit sagen. Aber Sie müssen es ganz genau so machen, wie ich es Ihnen erkläre, meine Liebe, wir alle möchten doch, daß Sie Ihr schönes Kleid mit nach Haus nehmen können. Also passen Sie gut auf.» Und Madame Colbert näherte ihre Lippen Mrs. Harris’ Affenohr, damit kein anderer etwas hörte, und flüsterte ihr die Anweisungen zu.
Als Mrs. Harris in der Zollhalle des Londoner Flughafens stand, war sie überzeugt, das Klopfen ihres Herzens müsse allen vernehmlich sein, doch als der freundlich aussehende junge Zollbeamte zu ihr trat, hielten ihre Munterkeit und der angeborene Mut sie aufrecht, und ihre nichtsnutzigen Augen zwinkerten sogar in einer merkwürdigen Vorfreude.
Auf dem Tresen vor ihr lag nicht die prächtige Dior-Schachtel, sondern ein großer schäbiger Plastikkoffer billigster Qualität. Der Beamte überreichte ihr ein Formular mit der Liste der im Ausland gekauften zu verzollenden Waren.
«Lesen Sie mir’s vor, Schatz», grinste Mrs. Harris unverschämt, «ich hab meine Brille zu Haus gelassen.»
Der junge Inspektor warf ihr einen scharfen Blick zu, um festzustellen, ob er zum besten gehalten werden sollte; doch die rosa Rose auf dem grünen Hut winkte ihm zu, und sofort wußte er, mit dem er es zu tun hatte. «Hallo», lächelte er, «was haben Sie denn drüben in Paris gemacht?»
«Eine kleine Urlaubsreise.»
Der Zollbeamte grinste. Das war mal etwas Neues: die britische Scheuerfrau im Ausland. Man mußte doch ganz gut mit Mop und Besen verdienen, dachte er und fragte dann, wie er es tausendmal tat: «Haben Sie etwas zu verzollen?»
Mrs. Harris grinste ihn an. «Natürlich
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