habe ich was zu verzollen. Ein echtes Dior-Kleid da im Koffer, heißt Versuchung. Fünfhundert Lappen hat’s gekostet. Wollen Sie’s sehen?»
Der Inspektor lachte schallend. Es war nicht das erste Mal, daß er einer Londoner Scheuerfrau begegnete, die Humor besaß. «Wetten, daß Sie damit Ballkönigin werden?» sagte er und kritzelte mit einem Stück Kreide auf dem Koffer. Dann schlenderte er weiter und legte dem nächsten Reisenden, dessen Gepäck bereitstand, sein Formular vor.
Mrs. Harris nahm ihren Koffer auf und ging — sie rannte nicht, wenn es auch eine harte Anstrengung war, nicht davonzustürzen — zum Ausgang und dann die Rolltreppe hinunter in die Freiheit. Sie fühlte sich nicht nur erleichtert, sondern außerdem auch sehr rechtschaffen. Sie hatte die Wahrheit gesagt. Wenn der Zollbeamte — so hatte Madame Colbert ihr erklärt — es nicht glauben wollte, dann war das schließlich nicht ihre Schuld.
Dreizehntes Kapitel
So geschah es, daß Mrs. Harris an einem schönen Frühlingsnachmittag um vier Uhr, nach Überwindung des letzten Hindernisses, Versuchung heil und sicher in ihrem Besitz, endlich wieder in London vor der Waterloo Air Station stand. Nur eins bedrückte ihr Gewissen: Miss Pamela Penrose, die Schauspielerin, und ihre kleine Wohnung.
Ihre andern Kunden waren alle wohlhabend, doch Miss Penrose war arm und hatte zu kämpfen. Wenn sich Mrs. Butterfield nun nicht genügend um sie kümmern konnte? Es war noch früh. Die Schlüssel zur Wohnung lagen in ihrer neuen Krokodillederhandtasche. Mrs. Harris sagte zu sich selbst:
Sie stieg in den Bus und stand kurz darauf vor dem Haus.
Kaum hatte sie den Schlüssel ins Schloß gesteckt und die Tür geöffnet, als sie auch schon heftiges Schluchzen hörte; das veranlaßte Mrs. Harris, so schnell sie konnte, in das winzige Wohnzimmer zu eilen, wo sich Miss Penrose, das Gesicht auf die Couch gedrückt, die Augen ausweinte.
Mrs. Harris ging zu ihr, legte ihr mitfühlend die Hand auf die vom Schluchzen geschüttelte Schulter und sagte: «Aber, aber, mein Liebchen, was ist denn? So schlimm wird’s schon nicht sein. Wo drückt denn der Schuh? Vielleicht kann ich Ihnen helfen...»
Miss Penrose setzte sich auf. «Sie und mir helfen!» wiederholte sie und vermochte kaum aus den tränenverschwollenen Augen zu sehen. Dann fuhr sie freundlicher fort: «Ach, Sie sind’s, Mrs. Harris. Mir kann auf der ganzen Welt kein Mensch helfen. Oh, ich könnte sterben. Wenn Sie’s unbedingt wissen wollen, ich bin nämlich von Mr. Korngold, dem Regisseur, zum Dinner im Caprice eingeladen worden. Es ist meine einzige Chance, Eindruck auf ihn zu machen und vorwärtszukommen. Fast alle Mädel — ich meine, fast alle Bekannten — von Mr. Korngold sind Stars geworden...»
«Aber deshalb brauchen Sie doch nicht zu weinen», erklärte Mrs. Harris. «Ich bin fest überzeugt, daß Sie das Zeug haben, ein Star zu werden.»
Augenblicklich schlug Miss Penroses herzzerreißender Kummer in Wut um. «Ach, stellen Sie sich doch nicht so dämlich!» raste sie. «Verstehen Sie das denn nicht? Ich kann nicht hingehen. Ich habe nichts anzuziehen. Das eine gute Kleid von mir ist in der Reinigung, und das andere hat einen Fleck. Mr. Korngold legt schrecklich großen Wert darauf, was die Mädels, mit denen er ausgeht, anhaben.»
Wer an Mrs. Harris’ Stelle hätte es wohl über sich gebracht, der Verlockung zu widerstehen, mit dem, was in dem Plastikkoffer vor der Tür lag, die gute Fee zu spielen? Vor allem, da sie noch unter dem Zauber der liebenswürdigen und einfachen Natascha, der würdevoll gütigen Madame Colbert und all ihrer Helfer stand und wußte, was es bedeutet, sich etwas ganz schrecklich zu wünschen, etwas, von dem man glaubt, man würde es nie und nimmer bekommen.
Ehe Mrs. Harris noch recht zum Bewußtsein kam, was sie sagte, war es ihr schon herausgefahren: «Warten Sie mal. Vielleicht kann ich Ihnen ja doch helfen. Ich leihe Ihnen mein Dior-Kleid.»
«Was leihen Sie mir? Oh, Sie... Sie gemeines Geschöpf! Wie können Sie es wagen, sich über mich lustig zu machen?» Miss Penroses kleiner Mund war verzerrt und die Augen vor Wut verdunkelt.
«Aber nein! Der Himmel soll mich bewahren. Ich komme gerade aus Paris zurück, wo ich mir bei Dior ein Kleid gekauft