Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Grund traute sich Mrs. Harris nicht, ihrer Freundin zu erzählen, daß sie der Schauspielerin das Kleid geliehen habe.
Aber als sie an ihrem Ziel ankam, hatte sie die Lösung gefunden. Eine kleine Schwindelei und die Müdigkeit, die sich in ihren Knochen angesammelt hatte, würden ihr aus der Klemme helfen.
«Lieber Gott!» sagte sie an Mrs. Butterfields wogendem Busen, von dem sie fast eingehüllt war, «ich bin so erledigt, daß ich mir die Augenlider mit den Fingern offenhalten muß. Ich kann nicht mal zu einer Tasse Tee bleiben.»
«Du Arme!» entgegnete Mrs. Butterfield voller Mitgefühl. «Ich will dich auch gar nicht aufhalten. Du kannst mir das Kleid...»
«Es kommt morgen.» Und damit hatte Mrs. Harris nur halb geschwindelt. «Dann erzähle ich dir auch alles.»
Als sie wieder im eigenen Bett lag, gab sie sich dem süßen, köstlichen Gefühl der Erfüllung hin und schlief rasch ein — ohne die mindeste Vorahnung dessen, was der nächste Tag ihr bringen sollte.
Vierzehntes Kapitel
Mrs. Harris pflegte der Schauspielerin die Zeit von fünf bis sechs Uhr nachmittags zu widmen, und so erfüllte sie den ganzen nächsten Tag, während sie in verschiedenen Wohnungen arbeitete und sich mit den Kunden aussöhnte, die froh waren, sie wiederzusehen, eine kribbelnde Vorfreude auf diesen Augenblick. Endlich war er da, und sie eilte in die kleine Wohnung, die hinter dem Haus lag und einst als Stall gedient hatte, öffnete die Tür und blieb einen Atemzug lang stehen. Sie verspürte zunächst eine leise Enttäuschung, denn alles war still und dunkel. Gar zu gern hätte Mrs. Harris von den Lippen des Mädchens gehört, welch triumphalen Erfolg das Kleid von Dior errungen und wie es auf Mr. Korngold gewirkt habe.
Doch dann stieg ihr ein sonderbarer fremder Geruch in die Nase, so daß sie vor Angst und Schrecken schauderte und ihr ein zuckendes Prickeln über die Kopfhaut lief. Aber wenn sie es sich recht überlegte, war ihr der Geruch doch nicht fremd. Weshalb erinnerte er sie an den Krieg, den sie in London erlebt hatte... an den Regen hochexplosiver Sprengstoffe und die Sintfluten von Feuer?
Mrs. Harris knipste das Licht auf dem Vorplatz und im Wohnzimmer an und trat ein. Im nächsten Augenblick starrte sie, gelähmt von Entsetzen, auf die Ruine ihres Kleides. Und dann wußte sie, was für ein Geruch das war und warum er sie an die Nächte erinnert hatte, als die Brandbomben auf London fielen.
Das Kleid von Dior lag achtlos hingeworfen auf der ungemachten Bettcouch; und in der verbrannten Samtbahn war dort, wo das Feuer sich eingefressen, die Perlen geschmolzen und den Stoff verkohlt und versengt hatte, ein entsetzliches Loch.
Daneben lag eine Pfundnote und ein Zettel mit ein paar hastig hingekritzelten Zeilen. Mrs. Harris’ Finger zitterten so sehr, daß sie sie zuerst kaum zu lesen vermochte, doch schließlich ging ihr der Inhalt auf.
«Liebe Mrs. Harris, schade, daß ich keine Zeit mehr hatte, um es Ihnen persönlich zu erklären, aber ich muß für eine Weile verreisen. Was mit dem Kleid passiert ist, tut mir furchtbar leid, aber ich konnte nichts dazu, und wenn Mr. Korngold nicht so rasch zugefaßt hätte, wäre ich vielleicht bei lebendigem Leibe verbrannt. Nach dem Dinner fuhren wir in den 30-Klub, wo ich mich vor einem Spiegel kämmte; direkt darunter war eine elektrische Heizung, und ganz plötzlich brannte ich — ich meine das Kleid, und ich hätte dabei zu Tode kommen können. Bestimmt läßt es sich ausbessern, und Ihre Versicherung wird den Schaden ersetzen, der gar nicht so schlimm ist, wie er aussieht, weil es sich nur um die eine Bahn handelt. Ich verreise für eine Woche. Bitte kümmern Sie sich wie üblich um meine Wohnung. Ich lege eine Pfundnote für Ihren Lohn während dieser Zeit hin.»
Es war erstaunlich, daß Mrs. Harris, als sie diesen Brief gelesen hatte, nicht aufschrie, ja nicht einmal flüsterte oder überhaupt etwas sagte. Statt dessen hob sie das beschädigte Kleid auf, faltete es sorgfältig zusammen und packte es wieder in den alten Plastikkoffer, den Madame Colbert ihr geschenkt hatte.
Das Geld und den Brief ließ sie auf der Couch liegen, dann ging sie die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße.
Als sie die Außentür abgeschlossen hatte, machte sie den Wohnungsschlüssel von der Kette los, da sie ihn nicht mehr brauchte; dann schob sie ihn durch den Schlitz des Briefkastens.
Der Weg zum Sloane Square, wo sie in ihren Bus stieg, dauerte fünf Minuten.
In ihrer
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