Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Wohnung war es feucht und kalt. Sie setzte den Kessel aufs Feuer und tat aus reiner Gewohnheit all die Dinge, die sie auch sonst tat, sie aß sogar etwas, obwohl sie kaum schmeckte, was es war. Dann wusch sie das Geschirr ab und stellte alles ordentlich weg. Doch damit war das mechanische Tun vorbei, und sie machte sich daran, die Ruinen des Kleides von Dior auszupacken.
Sie betastete die verkohlten Ränder des Samtes und die geschmolzenen Jettperlen. Sie kannte Nachtklubs, da sie manchmal dort saubergemacht hatte. Und plötzlich sah sie deutlich, wie es geschehen war — das Mädchen kam halbbetrunken am Arm ihres Begleiters die Stufen herunter, achtlos, nur mit sich selber beschäftigt, und blieb vor dem ersten Spiegel stehen, um sich zu betrachten und mit dem Kamm durchs Haar zu fahren.
Plötzlich Rauch zu ihren Füßen, ein erschrockenes Aufkreischen, rotgelbe Flammenzungen, auf die der Mann einschlug, bis sie erloschen; das schönste und teuerste Gewand der Welt war nur noch ein Wrack von einem Kleid.
Und das hielt sie nun in den Händen; der Geruch von verkohltem Stoff stieg daraus auf, und das ganze Parfüm, das Natascha ihr geschenkt hatte, würde nicht ausreichen, ihn zu beseitigen.
Ein Meisterwerk, so vollkommen und schön, wie menschliche Hände es nur zustande bringen konnten, war zerstört.
Sie versuchte sich einzureden, daß das Mädchen keine Schuld treffe, daß es ein Unglücksfall gewesen und nur sie selber zu tadeln sei, weil sie bei diesem verderbten Balg von Schauspielerin, die nicht mal so viel Anstand besaß, sich für diese törichte Geste zu bedanken, die gute Fee hatte spielen wollen.
Mrs. Harris war eine vernünftige Frau, die ihr Leben gewissenhaft geführt hatte und nicht zur Selbsttäuschung neigte. Als sie nun auf dieses versengte und kümmerliche Wrack ihres Wunschtraumes blickte, war sie sich des eigenen törichten Stolzes und ihrer Eitelkeit durchaus bewußt, nicht nur, weil sie einen solchen Schatz besitzen wollte, sondern auch, weil sie vorgehabt hatte, damit zu prahlen.
Sie hatte sich schon ausgemalt, wie sie ihrer Vermieterin auf die Frage, wo sie denn gewesen sei, gleichgültig antworten würde:
«Ach, ich war nur mal drüben in Paris, Liebste, um mir bei Dior die Kollektion anzusehen und mir dort ein Kleid zu kaufen. Es heißt Versuchung .»
Und natürlich hatte sie sich mehr als hundertmal das Gesicht von Mrs. Butterfield vorgestellt, wenn sie ihren Schatz vor ihr enthüllen würde. Nun konnte sie keinen Menschen damit beeindrucken, auch nicht ihre Freundin, die würde nur ihre düstere Prophezeiung bestätigt finden. «Hab ich dir nicht gleich gesagt, daß das kein gutes Ende nimmt? Solche Sachen sind nicht für unsereinen! Was hättest du überhaupt damit gemacht?»
Ja, wahrhaftig, was hätte sie damit gemacht? Es in einen alten, muffigen Schrank neben ihre Kittel, Schürzen und das eine billige Sonntagskleid gehängt und sich abends, wenn sie nach Haus kam, heimlich daran geweidet? Doch dieses Kleid war nicht dazu entworfen und geschaffen, im Dunkel eines Schrankes zu vermodern. Es sollte ausgeführt werden, dorthin, wo es Frohsinn und Licht, Musik und bewundernde Augen gab.
Ganz plötzlich konnte sie es nicht mehr ertragen, es noch länger anzusehen. Sie war am Ende ihrer Kraft und vermochte sich nicht mehr gegen ihren Kummer zu wehren. Sie versenkte das Kleid wieder in den Plastikkoffer und verhüllte es eilig mit dem zerdrückten Seidenpapier. Dann warf sie sich aufs Bett, verbarg das Gesicht im Kissen und fing an zu weinen — schweigend, untröstlich und endlos zu weinen wie Frauen, denen das Herz gebrochen ist.
Sie weinte über ihre eigene Narrheit, über ihren Hochmut und über die rasche Strafe, die der Sünde auf dem Fuße gefolgt war; doch vor allem weinte sie um ihr verlorenes Kleid und die Zerstörung dieses so teuren Besitzes.
Vielleicht hätte sie bis in alle Ewigkeit weitergeweint, wenn nicht das beharrliche Läuten der Türglocke endlich in ihren Kummer und ihr Bewußtsein eingedrungen wäre. Einen Augenblick hob sie das tränenverschwollene Gesicht, doch dann entschloß sie sich, das Klingeln nicht zu beachten. Es konnte niemand anders sein als Mrs. Butterfield, die darauf erpicht war, das Pariser Kleid zu sehen, darüber zu sprechen und zu hören, was für Abenteuer sie unter den Heiden erlebt habe. Was sollte sie ihr nun zeigen — nach dem langen Warten, der schweren Arbeit, den Opfern und dem närrischen Entschluß? Einen verbrannten Lumpen.
Weitere Kostenlose Bücher