Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Mrs. Alice Bums, die im tätig war und Bürgermeisterin von Bermondsey wurde, sind durch die Nominierung von Mrs. Harris, die Putzfrau bei vornehmen Leuten am Eaton Square, darunter Lady Dent, Sir Wilmot Corrison, Mr. Alexander Hero und Gräfin Wyszcinska, als Kandidatin für den Wahlbezirk East Battersea wieder wach geworden. Bei einer am Donnerstag in ihrer Wohnung abgehaltenen Feier erklärte Mrs. Harris, daß sie, wenn sie siege, beträchtliche Wirtschaftsreformen durchzusetzen hoffe.» Unter einem großen, zweispaltigen Bild von Mrs. Harris mit Orchideen und allem Drum und Dran stand: «Battersea, wie es leibt und lebt.» Hinter Mrs. Harris’ Schulter war ein Drittel von Mrs. Butterfield zu sehen.
«Was, ich soll meine Arbeit aufgeben?» lachte Ada Harris. «Dafür? Sie haben nichts Besseres zu schreiben und müssen schließlich auch leben.»
«Als nächstes wirst du im Fernsehen erscheinen», sagte Mrs. Butterfield, aber sie sagte es in so düsterem Ton, als handle es sich ums Gefängnis.
«Unsinn», sagte Mrs. Harris. «Was soll ich im Fernsehen? Jedenfalls jetzt ist es noch zu früh. Mr. Smyce hat übrigens gesagt, das Fernsehen würde mir nichts nützen. Und außerdem kostet es zuviel Geld, und schon deshalb werden sie mich nicht auftreten lassen.» Dann fügte sie fast sehnsüchtig hinzu: «Ach, ich würde schon gern einmal im Fernsehen auftreten. Du nicht auch, Vi?»
«Ich!» rief Mrs. Butterfield. «Ich! Ich käme da vor Angst um.» Und dann tat sie einen Gedankensprung und sagte: «Ich mag ihn gar nicht.»
«Wen?»
«Den kleinen Mann mit dem Ohrfeigengesicht. Wie heißt er doch? Mice?»
«Ach der! Der ist in Ordnung.»
«Warum hat er dann immer dazwischengefunkt, wenn die Fotografen dich aufnehmen wollten und die Reporter Fragen stellten? Ihm gefiel es nicht, daß soviel Aufhebens von dir gemacht wurde. Und ein paarmal habe ich die Blicke auf gefangen, mit denen er dich musterte, als du es nicht merktest. Er mag dich auch nicht.»
«Ach geh, Vi», lachte Mrs. Harris. «Er kann nichts für das Gesicht, mit dem er geboren ist. Niemand von uns kann etwas dafür. Er ist der Kopf der Show, er hat Erfahrung. Mr. Aldershot sagt, er sei der Beste im Wahlgeschäft.»
Mrs. Butterfield schnüffelte und sagte: «Ich werde ihn im Auge behalten.»
Mrs. Harris ergriff eine Schere und machte sich an die befriedigende Arbeit, die Artikel über sie aus den Zeitungen auszuschneiden.
Ihre dicke Freundin, die schon andere Eskapaden von ihr erlebt hatte, über die dann unter Titeln wie Ein Kleid von Dior und Der geschmuggelte Henry berichtet worden war, blickte sie bewundernd und beklommen zugleich an. Wochen und Monate, ja sogar Jahre begnügte sich Ada Harris mit einem stillen, ruhigen Leben, putzte von morgens bis abends, wandte sich gelegentlich hilfesuchend an sie, Mrs. Butterfield, wenn sie in der Patsche saß, und ging öfter mit ihr ins Kino. Und dann plötzlich kroch aus ihr, wie der Schmetterling aus der Puppe, ein ganz anderes Geschöpf hervor, das sich nicht bremsen ließ, und die dicke Violet wußte nicht mehr, woran sie war. Diese Schrulle, sich ins Parlament wählen zu lassen, schien Mrs. Butterfield das Allerschlimmste zu sein, ihr, die immer schon kommendes Unglück vorausahnte, wenn sie auch nicht wußte, was es sein würde. Sie traute keinem von denen, die mit der Wahl zu tun hatten und die sie bisher kennengelernt hatte. Sie waren nicht «ihre Art». Sie war überzeugt, deshalb immer gut im Leben gefahren zu sein, weil sie sich selbst treu geblieben war.
Sie verstand nichts von Parlament und Regierung. Sie hatten nie einen Einfluß auf ihr Leben gehabt. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt auf ähnliche Art wie Mrs. Harris, nur daß sie als Köchin und nicht als Putzfrau arbeitete. Sie kochte für Leute, die sich eine ständige Köchin entweder nicht leisten oder sie nicht ertragen konnten. Und da sie immer in bar bezahlt wurde, hatte sie mit dem Finanzamt noch nie etwas zu tun gehabt. Ihr Leben war wunderbar einfach, friedlich und unkompliziert. Sie konnte nicht verstehen, warum ihre Freundin immer wieder Wirbel brauchte.
«Was wirst du im Parlament tun?» fragte sie in jammerndem Ton.
«Nun, Gesetze durchbringen und Reden halten.»
«Was für Gesetze?»
«Gesetze, die dem Volk helfen. Uns zum Beispiel, dir und mir.»
«Ich brauche keine Gesetze», sagte Mrs. Butterfield.
«Doch, du brauchst sie», antwortete Mrs. Harris. «Was sollte aus dem Land werden, wenn es keine
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