Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Haustür angelehnt, damit sie wieder hineinkonnte, und kaum war sie in ihrer eigenen Wohnung und hatte Hut und Mantel abgelegt, da hob sie den Telefonhörer ab und wählte mit ihrem dicken zitternden Zeigefinger eine Nummer.
«Mr. Bayswater, Mr. Bayswater! Der armen Ada ist etwas Furchtbares passiert!»
«Ach, Mrs. Butterfield, sie ist doch nicht etwa verletzt oder überfahren worden? Sagen Sie’s mir sofort.»
«Nein, nein! Aber erinnern Sie sich an den Anfall, den sie hatte, als wir alle in Amerika waren, wo sie immer nur vor sich hin starrte, als wäre sie nicht bei sich, und zu niemandem ein Wort sagte?»
«O ja, daran erinnere ich mich.»
«Nun, so einen hat sie jetzt wieder. Ich weiß nicht, was sie erlebt hat. Ich bekomme nichts aus ihr heraus.»
«Verdammt, ich weiß es leider», erwiderte Bayswater.
«Sie wissen’s?» rief Mrs. Butterfield. «Dann können Sie ihr vielleicht auch diesmal wieder helfen? Könnten Sie nicht sofort kommen?»
Mr. Bayswater schwieg eine Weile, ehe er antwortete: «Ach Gott, ach Gott, ich kann es nicht.»
«Sie können es nicht? Und Sie wollen ein guter Freund sein?»
«Der beste, den sie je gehabt hat, außer Ihnen natürlich, aber Ada glaubt das nicht mehr. Ich fürchte, es ist meine Schuld. Wir haben vor einer Weile miteinander telefoniert, und sie sagte, ich solle ihr nie wieder vor die Augen kommen.» Diesen traurigen Worten folgte ein Klicken.
«Mr. Bayswater, Mr. Bayswater!» rief Mrs. Butterfield, aber er hatte schon eingehängt.
Ihre vielen Kinne zitterten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Sorge, während sie in der Küche damit beschäftigt war, das Dinner für den Abend, das sie außerhalb kochen mußte, vorzubereiten. So konnte sie die letzte halbe Stunde am Bett ihrer daniederliegenden Freundin verbringen.
Aber ein neuer Schock erwartete sie, denn als sie mit ihrer Arbeit fertig war und ins Haus nebenan eilte, um zu sehen, wie es Mrs. Harris ging, war der Vogel ausgeflogen. Zum Glück lag auf dem Kaminsims ein Zettel.
«Mach Dir keine Sorgen. Bin ins Parlament gegangen. Vielen Dank für alles. Deine Ada.»
Der Sprecher des Unterhauses war ein gebildeter, freundlicher Mann und ein gewiefter Politiker, aber er war auch einer der am meisten Beschäftigten. Bis das Parlament zusammentrat, mußte er Berge von Akten durchackern, sich mit Anfragen und Berichten befassen, und er verbrachte nicht nur jeden freien Augenblick vor und nach den Sitzungen in seinem Büro, sondern auch die Zeit, in der sein Vertreter seines Amtes walten konnte.
Jetzt am späten Nachmittag war er, während das Haus sich einer Pause erfreute, auch wieder ganz in seine Arbeit vertieft, als sein Sekretär an der Tür seines Allerheiligsten erschien und sagte: «Da ist eine Mrs. Harris, die Sie gern einen Augenblick sprechen möchte, Sir.»
«Mrs. Harris? Mrs. Harris? Kenne ich die?»
«Ich glaube, sie ist eines der neuen Mitglieder, Sir.»
«Sagen Sie ihr, sie möchte ein andermal kommen.»
«Sehr wohl, Sir.» Aber der Sekretär war ein junger Mann, dessen Herz noch nicht eingeschrumpft war. Er blieb an der Tür stehen. «Wenn Sie einen Augenblick für sie erübrigen könnten. Ich glaube... Sie scheint...»
Der Sprecher, der gerade mit einem kniffligen Problem beschäftigt war, blickte mit gerunzelter Stirn von seiner Arbeit auf, sah den besorgten Blick im Gesicht seines Sekretärs, und sein eigenes hellte sich auf. Er lächelte und sagte: «Na gut, Carson, führen Sie sie herein.»
Ada Harris war der parlamentarische Betrieb zum größten Teil ein Buch mit sieben Siegeln. Wie ein Nichtschwimmer in einem Strudel hatte sie darin gezappelt, aber eins war ihr klar geworden: Der als Mr. Speaker bezeichnete Mann war der mächtigste im Hause. Man verbeugte sich tief, wenn er die Kammer betrat, war jederzeit ihm gegenüber geradezu unterwürfig, und von größter Bedeutung war es, daß er einen bemerkte. Er konnte den Mitgliedern helfen oder ihnen ein Bein stellen. Er war eine Art Übermensch, der sechshundertdreißig eigenwillige Leute am Zügel hielt.
Trotz des schweren Schocks, den sie erlitten hatte, war ihr aufgegangen, daß ein Unrecht geschehen war. Das mußte sofort wiedergutgemacht werden, und sie war der einzige Mensch, der es konnte. Darum mußte sie unbedingt den Sprecher aufsuchen.
Der Würdenträger schob seine Papiere beiseite, seine Brille auf die Stirn und sagte: «Nehmen Sie bitte Platz, Mrs.... Mrs....»
«Harris. Ada Harris.»
Der Sprecher musterte die
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