Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Frau genau, die auf der Stuhlkante saß, bemerkte, daß sie gut gekleidet war und sogar Handschuhe anhatte, dann, daß ihre Apfelbäckchen leichenblaß waren und daß ihre Augen nervös zuckten. Dieses Gesicht, diese Person hatte er schon und sehr oft gesehen, und zwar erst vor kurzem. Aber wo?
Dann fiel es ihm ein. «Aber natürlich», sagte er, «Sie sind die...» Er hielt noch beizeiten inne, aber das Wort Putzfrau hing in der Luft.
«Ich erinnere mich jetzt», fuhr er fort. «Sie hatten einen ganz...», er zögerte, «sagen wir ausgefallenen Wahlfeldzug. Man muß Ihnen gratulieren. Was kann ich für Sie tun?»
Jetzt, da der Augenblick gekommen war, schien das letzte Restchen Sicherheit von ihr abgefallen zu sein, und ihre Lippen zitterten leicht, als sie antwortete: «Sir, ich möchte zurücktreten. Aber ich weiß nicht, was ich da tun muß, und darum bin ich hier. Ich hätte Sie sonst nicht belästigt. Sie sind so beschäftigt.»
Mr. Speaker war ehrlich erstaunt. Das Parlament war erst drei Wochen alt, und ein Mitglied, das mit einer großen Mehrheit nach einer allerdings recht ungewöhnlichen Wahlkampagne gewählt worden war, sprach schon davon, sein Mandat aufzugeben.
«Warum möchten Sie zurücktreten?» fragte er.
Mrs. Harris blinzelte und erwiderte: «Aus persönlichen Gründen, Sir.» Das war ein Satz, den sie oft in den Zeitungen gelesen hatte. Fabrikdirektoren, Schauspieler, Firmenleiter sagten immer, wenn sie kündigten, meistens kurz bevor ihnen gekündigt worden wäre, sie täten es aus persönlichen Gründen.
«Aber Sie sind doch nicht krank?» fragte der Sprecher.
«O nein, Sir. Es ist mir noch nie so gut gegangen.»
Doch als er sie genauer betrachtete, sah er, daß das nicht ganz stimmte und daß seine Besucherin sehr mitgenommen wirkte.
«Wissen Sie», sagte er, «wenn man ins Parlament gewählt ist, kann man nicht zurücktreten.»
«Ach Gott, Sir», hauchte Mrs. Harris. «Ach Gott, was soll ich nur machen?» und sie wandte den Kopf ab, damit er nicht die Tränen der Scham und Angst sah, die sie nicht länger zurückhalten konnte.
Und der erfahrene Mann erinnerte sich plötzlich an dies und jenes, das er in den Couloirs aufgeschnappt hatte, ein Kichern, ein Lachen, einige Brocken dieser nicht erbaulichen Geschichte. Es war ein nicht ganz unübliches politisches Ränkespiel gewesen, das schiefgegangen und zu einem skandalösen Scherz geworden war.
Und hier vor ihm saß das Opfer, durch Umstände gefangen, und nicht der erste ehrgeizige Mensch mit einer falschen Einschätzung seiner Gaben, der von unten in den als Unterhaus bekannten Klub gekommen war. Aber was immer geschehen, hier handelte es sich — zu diesem Resümee kam der Sprecher — um eine Frau, die sehr anständig und ehrlich wirkte. Sie war ohne ihr Zutun in das Ganze verstrickt worden.
«Wir könnten Ihnen auf Lebenszeit die Peerswürde verleihen», sagte er, und ein seltsames Lächeln spielte um seinen Mund.
Mrs. Harris starrte ihn verblüfft an.
Der Sprecher nahm seinen Scherz sofort zurück. «Entschuldigen Sie», sagte er, «das ist mir so entschlüpft. Es gibt da noch eine andere Möglichkeit. Sie könnten sich um ein Kronamt bewerben.»
«Um was?»
«Um ein Kronamt.»
Mrs. Harris starrte ihn verständnislos an.
«Wir sind ein seltsames Volk», sagte er, «und ein noch seltsameres Parlament. Wir haben ein Gesetz, daß kein gewähltes Mitglied des Parlaments auf seinen Sitz verzichten darf, und dann schaffen wir ebenso feierlich eine Lücke darin, die so groß ist, daß eine ganze Karawane durch sie schlüpfen könnte. Wissen Sie, kein Mitglied darf ein bezahltes Staatsamt annehmen und zugleich seinen Sitz im Unterhaus behalten; Und das Kronamt, von dem ich spreche, ist solch ein Amt, jedoch rein theoretisch natürlich.» Er hielt inne, um zu sehen, ob sie verstand, was nicht einmal ihm ganz klar zu sein schien. «Nun, jedenfalls könnten Sie sich um solch ein Amt bewerben, und wenn man es Ihnen gäbe, würde ihr Abgeordnetenmandat automatisch erlöschen.»
Die Politik war ein Fliegenfänger, dachte Mrs. Harris, man hatte kaum ein Bein frei, da klebte das andere fest. «Wie müßte ich das machen, Sir?»
«Sie bewerben sich, Moment, beim Schatzkanzler. Ja, so ist es.»
Beide Füße klebten fest, und Mrs. Harris konnte kaum noch etwas dagegen tun. «Ach Gott», stöhnte sie. «Der Schatzkanzler.» Sie hätte ebensogut sagen können, der Erzbischof von Canterbury, der Lordoberrichter oder die Königin
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