Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
der einsamen Gestalt auf der Hinterbank hin und rief: «Die Ehrenwerte Abgeordnete von East Battersea.»
    Er mußte es noch einmal wiederholen, denn Mrs. Harris war ganz in das Memorieren ihrer Rede vertieft. Und jetzt, da es soweit war, kam es überraschend für sie, daß sie dunkelrot wurde und völlig vergaß, was sie hatte sagen wollen. Sie mußte darum mit dem Herzen statt mit dem Kopf sprechen.
    Mit einer ängstlichen Handbewegung begann sie: «Ach, du liebe Zeit, das bin ich. Es ist sehr freundlich. Ich möchte niemandem unnötig Zeit stehlen, denn ich weiß, wie beschäftigt Sie alle sind. Ich dachte nur, ich sollte Ihnen Lebewohl sagen, da ich heute abend zum letztenmal hier bin.»
    Der Reporter, der halb vor sich hingedöst hatte, erwachte jäh, als er solche ungewohnten Worte vernahm, und blickte um sich, um festzustellen, wer sie gesagt hatte. Er richtete sich auf und griff nach Notizbuch und Bleistift, als er Mrs. Harris sah.
    «Das Ganze ist ein Fehler gewesen, den ich bedaure», sagte sie. «Ich hätte nie hier sein dürfen. Man hat mir gesagt, es werde jetzt eine Nachwahl stattfinden, und dann wird der Richtige mein Nachfolger werden. Ich habe um das Kronamt gebeten, und man hat es mir gewährt. Ich weiß nicht genau, was das ist, aber jetzt, da ich’s habe, wird man wohl von mir erwarten, daß ich dort saubermache. Das ist mein wirklicher Beruf, alles in Ordnung zu halten, und es ist weiß Gott keine leichte Arbeit. Ich hätte lieber dabei bleiben sollen. Es ist ein großer Unterschied zwischen Ideen im Kopf haben und denken, man könne alles besser machen als andere, und sich dann wirklich daranzumachen.»
    «Ach, das ist ja die Putzfrau», murmelte der Reporter und füllte sein Notizbuch schnell mit Stenographieschnörkeln.
    Einige der Abgeordneten hörten auf, mit Papier zu rascheln, und mehrere drehten sich um und stierten.
    «Darum gehe ich», fuhr Mrs. Harris fort. «Es gehört mehr dazu als der Wunsch, dem Volk zu helfen, nicht wahr? Man muß wissen, wie man es macht. Ich dachte, vielleicht könnte ich es, weil man dort, wo ich lebe, vieles sieht und auch eine Menge hört, Dinge, die nicht richtig oder gerecht sind und gegen die man etwas tun möchte. Manchmal liegt man sogar nachts wach und wünscht, man könnte es ändern. Ich glaubte, für viele von uns sprechen zu können, die keinen Fürsprecher haben, aber als es soweit war, schien ich es doch nicht zu können, und vielleicht kann es niemand. Ich darf nicht den Platz von jemandem einnehmen, der mehr weiß als ich. Und darum weiß ich, ich habe hier nichts zu suchen, aber ich dachte, es wäre richtig, Ihnen Lebewohl zu sagen und Sie dann weitermachen zu lassen. Sollte ich jemandem Ungelegenheiten bereitet haben, dann bitte ich das zu entschuldigen, und... und...» Es war ihr, als hörte sie plötzlich ihre eigene Stimme durch die fast leere Kammer hallen, und das erschreckte sie ebenso, wie es viele andere erschreckt hatte, die im Laufe der Jahre dort zum erstenmal gesprochen hatten. Hastig schloß sie: «... und ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.» Tiefe Stille trat ein, als sie sich setzte, und wurde noch tiefer, als der Sprecher darauf wartete, daß ein Mitglied des Hauses sich erhob, um, wie es Tradition war, den oder die Abgeordnete zu seiner oder ihrer Jungfernrede zu beglückwünschen.
    Schließlich erhob sich ein anderer Hinterbänkler und sagte in trockenem Ton: «Die Ehrenwerte Abgeordnete von East Battersea verdient es, nicht nur zu ihren klugen Worten, sondern auch zur Kürze ihrer Rede beglückwünscht zu werden», und dann konnte er sich einen Scherz nicht verkneifen. «Ich glaube, dem Kronamt könnte es gut bekommen, wenn da mal ein bißchen gekehrt würde.»
    Aber niemand lachte. Das Haus war schon nicht mehr beschlußfähig, und da die Tagesordnung erledigt war, vertagte man sich automatisch. Die Abgeordneten gingen zu zweit und dritt weg. Allen gelang es, die gewesene Abgeordnete von East Battersea, die erhobenen Hauptes und aufrecht von der hintersten Bankreihe herunterkam und an ihnen vorbeiging, nicht ansehen zu müssen und ihren Blicken zu entgehen. Und schon verschwand sie aus dem Haus und damit aus ihrem Leben.
    Aber es war ihr gelungen, ein Gefühl des Unbehagens und in einigen von ihnen so etwas wie Heimweh nach einem verlorenen Utopia zu wecken.
    Sie waren darum so darauf aus, nicht Zeugen ihres Weggangs zu sein, weil sie sie gezwungen hatte, plötzlich an ihre einstigen, längst vergessenen

Weitere Kostenlose Bücher