Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Ideale und die Begeisterung zu denken, mit der sie ins Unterhaus gekommen waren. Beides hatten sie längst vergessen oder verschachert, so daß sie herzlos und zynisch so tun mußten, als hörten sie einem Menschen gar nicht zu, der mit der gleichen Ehrlichkeit gekommen war und den Mut gehabt hatte, sein Versagen einzugestehen und zu gehen. Als rechtmäßig gewähltes Mitglied hätte sie weiter ihre Diäten beziehen können, als Teil eines modernen politischen Apparats, der keine neuen Ideen oder Reden wollte, sondern Abstimmungen über lange vorher entschiedene Anträge. Sie hatte ihre Anwesenheit «einen Fehler» genannt und war zu stolz gewesen, nicht die Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie hofften, sie schnell zu vergessen.
Der Vertreter des Sprechers sagte: «War das nicht die Putzfrau, von der die Zeitungen soviel hergemacht haben?»
«Ja», erwiderte der Sprecher. «Das war sie.» Und er legte seine Schriftstücke zusammen. Er wünschte, sie wäre nicht gegangen und hätte von Zeit zu Zeit ihre Stimme für jene erheben können, für die heutzutage niemand spricht und um die sich kaum jemand kümmert.
Aber der Reporter telefonierte schon seinen Bericht durch, und in der letzten Nachrichtensendung von BBC wurde verbreitet, daß Mrs. Ada Harris, Putzfrau aus East Battersea, die nach einem sensationellen Wahlkampf ins Parlament gewählt worden war, um das Kronamt eingekommen sei und es erhalten habe, so daß ihr Sitz vakant sei.
Einer, der das im Rundfunk hörte, war Mr. John Bayswater, der gerade schlafen gehen wollte. Er war ganz blaß geworden, stellte das Radio ab, ging ans Fenster und blickte hinaus, ohne die verlassene Straße zu sehen.
Er stand dort eine lange Weile, führte einen Kampf mit sich selbst, den Gefühle entfacht hatten, von denen er gar nicht wußte, daß er sie hatte. Manchmal zwangen sie ihn, zu schlucken und den Kopf zu schütteln, als er sein eigenes Leben Revue passieren ließ, und dann dachte er noch einmal über das nach, was er gehört hatte.
Schließlich kam er zu einem Entschluß und begann mit der Vorbereitung von etwas, das jeder, der ihn dabei beobachtete, Flucht genannt hätte.
Er ging zuerst in seine Garage hinunter und prüfte den Rolls-Royce, den Tank, den Radiator, die Batterie, die Bremsen. Er wußte, es war alles tipptopp, aber er begab sich nie auf eine längere Fahrt ohne diese vorherige Inspektion.
Er setzte sich ans Steuer, drückte auf den Starter und freute sich, wie vollkommen der Motor funktionierte. Dann stellte er ihn ab. Und ehe er die Garage schloß, warf er einen letzten Blick auf das prächtige Auto, als wolle er ihm für immer Lebewohl sagen.
Dann ging er wieder hinauf, holte einen Koffer unter dem Bett hervor und packte ihn sorgfältig für eine längere Reise. Vom Schreibtisch nahm er eine Anzahl ausländischer Straßenkarten, seinen Paß und eine beträchtliche Summe Bargeld, die er beiseite gelegt hatte.
Nachdem er dies alles getan hatte, stellte er sich noch einmal ans Fenster und betrachtete eine einsame Katze, die an einem Mülleimerdeckel schnupperte. Er war verwundert über das starke Gefühl, das, seit er die Nachricht im Rundfunk gehört, in ihm war, und dachte über die Folgen nach. Er wurde innerlich hin und her gerissen, aber am Ende fand er keine Alternative zu dem, was er vorhatte, und so ging er zu Bett, tat aber kaum ein Auge zu.
Als es am Morgen hinter seinen Fenstern wieder hell wurde, stand er auf, wusch und rasierte sich und zog sich an, schrieb einen Zettel für den Milchmann und einen anderen, den er in die Tasche steckte. Nachdem er sich noch einmal in dem Zimmer und in der Küche umgeblickt hatte, um sich zu überzeugen, daß alles abgestellt war, was abgestellt sein mußte, ergriff er Koffer, Mantel und Mütze, schloß die Tür hinter sich ab, verstaute das Zeug im Auto und fuhr dann, ohne sich noch einmal umzublicken, davon.
Mrs. Harris erwachte nach einem unruhigen Schlaf durch lautes Klingeln und mit einem Gefühl der Trauer und Verzweiflung im Herzen. Ihr Telefon und die Klingel an der Haustür ertönten zugleich. Sie blickte auf ihren Wecker und sah, daß es erst sieben Uhr morgens war.
Das Telefon schien als erstes an die Reihe kommen zu müssen. Sie nahm den Hörer ab.
Eine Stimme sagte: «Mrs. Harris? Hier ist die News of the World, würden Sie wohl...» Aber da hatte Mrs. Harris schon wieder eingehängt. Und von neuem überfielen sie der Schmerz und die Erinnerungen, die sich beim Erwachen nur durch Trauer
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