Ein kleines Stück vom Himmel nur
natürlich nicht die gleiche Liebe, die sie für Mac fühlte. Die Liebe zu Mac war eine strahlende Sternschnuppe gewesen, ein Komet, der so hell von Horizont zu Horizont leuchtete, dass er alles abseits seines Laufs verdunkelte. Die Liebe, die sie für Joe empfand, war behutsamer, vielleicht auch bequemer. Sie empfand Zärtlichkeit und tiefe Dankbarkeit und sorgte sich um seine Gefühle, was sie so lange davon abgehalten hatte, ihm von Mac zu erzählen. In vielerlei Hinsicht, so wurde ihr bewusst, entsprachen ihre Gefühle für Joe mehr der Liebe für einen Vater oder für den Bruder, den sie nie gehabt hatte, während die Liebe zu Mac blanke, verzehrende Leidenschaft war. Joe war die Wirklichkeit. Mac war ein Traum gewesen â und das schon bevor sie ihn verloren hatte. Joe war verlässlich, ein Fels in der Brandung, und nahm sie so an, wie sie war; ihr verletztes Gemüt und ihr gebrochenes Herz schrien nach seiner Hilfe.
»Ich wünschte, ich müsste noch nicht zurück«, sagte Joe.
Es war der letzte Abend seines hastig arrangierten Urlaubs; sie waren in Nancys Wohnung und aÃen einen Gemüseauflauf, den Nancy gekocht hatte.
»Ich wünschte auch, du könntest noch bleiben«, erwiderte sie und meinte es auch.
»Komm her!«
Er umarmte sie, streichelte ihr über das Haar und küsste zärtlich ihr Gesicht, und sie klammerte sich an ihn, aus Furcht vor dem Abgrund, in den sie wieder fallen würde, wenn er fort war.
Wie es genau geschah, hätte keiner von ihnen später sagen können. Keiner von beiden hatte es vorgehabt. Doch irgendwann stieÃen ihre jeweiligen Bedürfnisse aufeinander und vereinigten sich. Joes überwältigende Liebe für Nancy, Nancys Wunsch nach Vergessen. Sie liebten sich dort auf Nancys schmalem Bett, und es war beides, selige Erleichterung und betäubende Linderung. Aber als Joe abgereist war, wurde Nancy von Schuldgefühlen überwältigt. Sie hatte, so schien es ihr, beide Männer in ihrem Leben betrogen. Vor allem aber hatte sie sich selbst betrogen.
II
Noch bevor ihre Periode ausblieb, wusste Nancy, dass sie schwanger war. Auch wenn sie zunächst versuchte, sich einzureden, dass ihre Ãbelkeit Folge des Gefühlsaufruhrs war und der ziehende Schmerz in ihrem Unterleib seine Ursache in der nervlichen Anspannung hatte, war sie sich doch sicher, dass sie schwanger war. Sie erkannte die Anzeichen wieder und zitterte.
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich so fühlte. Auch damals hatte sie geahnt, dass das merkwürdige Stechen und ihr allgemeines Unbehagen von grundlegenden Veränderungen in ihrem Körper ausgelöst wurden. Doch damals hatte sie ihre Ahnung viel stärker verdrängt. Sie war siebzehn Jahre alt und stand allein in der Welt, ohne finanzielle Möglichkeiten, für ein Baby zu sorgen.
Der Vater war der Chef des Luftzirkus gewesen, mit dem sie herumreiste. Er nannte sich William Eagle, was allerdings nicht sein richtiger Name war. Er war zweiundvierzig Jahre alt und ebenso skrupellos wie charismatisch. In der dunklen Scheune, in der sie ihre Ausrüstung für die Nacht verstauten, hatte er sie vergewaltigt, doch aus Scham und Angst hatte sie niemandem erzählt, was er ihr angetan hatte. Er hatte ihr angedroht, dass sie im Handumdrehen ihren Job verlieren würde, sollte sie sich beklagen. Nancy wusste, dass das keine leere Drohung war. Die Tage der Luftzirkusse waren gezählt, es gab kaum mehr Arbeit in der einzigen Welt, die sie kannte. Die Truppe war ihr Zuhause und seit dem Tod ihrer Eltern auch ihre einzige Familie. Sie hatte furchtbare Angst, das alles zu verlieren. Dass William einen weiteren Versuch dieser Art unternehmen würde, glaubte sie nicht. Er war zu dem Zeitpunkt betrunken gewesen, und sie hatte es ihm weià Gott nicht leicht gemacht; sie hatte getreten, gebissen und geschrien, so dass er ihr die Hand auf den Mund pressen musste, um sie ruhig zu halten. An den Orten, wo sie auftraten, gab es immer Mädchen, die sich nur allzu gern dem gutaussehenden, tollkühnen Stuntpiloten anboten; von daher würde er sich sicher keine Wiederholung dieses Fiaskos wünschen.
Sie sollte Recht behalten; zwar behandelte er sie hinterher äuÃerst unwirsch, aber er versuchte nie wieder, sie anzurühren. Das Problem war nur: Einmal hatte gereicht. Mit untrüglicher Sicherheit, die im Laufe der Wochen immer weiter wuchs, wusste Nancy, dass
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