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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur
Autoren: Amelia Carr
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Strichmännchen, Blumen und leuchtend gelben Sonnen darauf, und innen stand in ungelenker, kindlicher Handschrift: »Für Mami. Alles Liebe von …« Die Urkunden von Johns Schwimmwettkämpfen – Gott sei Dank war er da längst aus dem selbstgestrickten Badeanzug herausgewachsen! Programmhefte von Theateraufführungen der Highschool, bei denen Ellen eine Hauptrolle gespielt hatte; ein Ausschnitt aus der Lokalzeitung, der die Rockgruppe, in der Ritchie gespielt hatte, bei einem Schulabschlussball zeigte. Ritchie hatte Washboard gespielt und war halb verborgen hinter den Jungen mit den Rhythmus- und Bassgitarren, aber ich hatte den Ausschnitt trotzdem aufbewahrt. Johns Einberufungsbescheid nach Vietnam war da. Die Gästeliste von Ellens Hochzeit. Ritchies erste Firmenvisitenkarte.
    So viele Erinnerungen, alle in Schubladen und Aktenordner gestopft, die dann – jedenfalls in den letzten Jahren – in der Abstellkammer standen. Zusammen mit Quittungen und längst abgelaufenen Garantiescheinen, Kochrezepten, die gut klangen, die ich aber nie nachgekocht hatte, Anleitungen für Haushaltsgeräte, die inzwischen längst ihren Geist aufgegeben hatten, abgelaufenen Versicherungsverträgen und unbenutzten Scheckbüchern. Mich von dem ganzen Kram zu trennen war mir nicht schwergefallen.
    Doch schließlich kam ich zu meinen persönlichen Dingen: Briefe und Telegramme, Leistungsnachweise und Flugbücher. Vergilbte Alben voller Fotos, die mit einer Brownie-Boxkamera aufgenommen waren. Und meine Tagebücher.
    Ich hatte Tagebuch geführt, seit ich ein kleines Mädchen war und mit meinen Eltern durch das Land zog. Eine Lehrerin in einer Schule im Mittleren Westen hatte mir dazu geraten, damit ich meine Handschrift und Rechtschreibung verbesserte, die durch die unregelmäßigen Schulbesuche einiges zu wünschen übrig ließen. Zuerst hatte ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, denn ich rannte viel lieber draußen herum, als mich mit den Buchstaben abzuplagen, die meinen Klassenkameraden so leicht von der Hand zu gehen schienen, doch irgendwann fing es an, mir Spaß zu machen. Ein Tagebuch war wie ein bester Freund, dem man Geheimnisse zuflüstern konnte, und beste Freunde waren in dem Vagabundenleben meiner Kindheit nicht leicht zu finden.
    Ich gewöhnte mir an, jeden Abend vor dem Schlafengehen wenigstens ein paar Worte hineinzukritzeln, und nun waren diese Hefte eine richtige Offenbarung. Ich hatte diesen Seiten so viel anvertraut. Während ich die Eintragungen entzifferte, in denen es von Rechtschreibfehlern nur so wimmelte, war ich plötzlich wieder von den Sinneseindrücken meiner Kindheit umgeben. Ich ging ganz auf in dem kleinen Mädchen, das ich einmal gewesen war, und alle Hoffnungen, Träume und Enttäuschungen waren genauso wahrhaftig für mich, wie sie es damals gewesen waren. Es widerstrebte mir, einen Teil von mir gehen zu lassen, von dem ich geglaubt hatte, dass er für immer verschwunden sei, der sich aber in Wirklichkeit nur versteckt hatte.
    Im Sturmschritt eilte ich durch die Jahre meines Erwachsenwerdens und legte die Tagebücher beiseite, denn ich dachte mir, dass es dich vielleicht interessieren könnte, sie dir anzuschauen und zu sehen, wie das Leben damals war. Und dann wandte ich mich dem letzten Tagebuch zu, das ich geschrieben habe. Das Buch mit dem Etikett »April 1942 bis Januar 1944«.
    Es dauerte ein paar Minuten, bis ich es über mich brachte, es aufzuklappen. Ich zögerte wie Pandora vor ihrer geheimnisvollen Büchse. Alles Unheil ist zwischen diesen Seiten eingesperrt; in dem Moment, wo ich den Band aufklappe, wird es herausfliegen, und alle Dummheiten, die ich begangen habe, werden zutage treten. Natürlich brachten auch die späteren Jahre noch einiges an Unheil, doch da war ich viel zu beschäftigt und zu müde, um Tagebuch zu führen. Und auch unwillig, dem Papier Dinge anzuvertrauen, die ich lieber in meinem Herzen verborgen halten wollte. Doch dieser letzte Band dokumentiert, wie alles angefangen hat. Das Schöne und das Leid. Die Jahre, die mich schließlich von dem kleinen Mädchen der frühen Schulhefte zu der Frau gemacht haben, die ich war und wohl immer noch bin.
    Zuerst klappte ich das Fotoalbum auf, aber das war natürlich genauso gewagt – vielleicht sogar noch gefährlicher. Ein Foto ist nicht bloß eine Erinnerung. Es
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