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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur
Autoren: Amelia Carr
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Freunde?«
    Â»Oh, ja. Barney und Luke sind meine besten Freunde. Aber die Jungen haben andere Unterrichtsstunden als die Mädchen – Fußball und Kricket und Werken und so was.«
    Ich konnte mir genau vorstellen, wie es dir ging. Ich wünschte mir, dass ich dir helfen könnte, dein Leben zu meistern, doch das musstest du allein tun. Und ich wusste auch, dass du es mit der Zeit schon schaffen würdest.
    Â»Wahrscheinlich sind sie bloß eifersüchtig, weil sie sich wünschen, dass Barney und Luke ihnen mehr Beachtung schenken«, sagte ich. »Wenn sie wieder eklig zu dir sind, zeig ihnen einfach, dass es dir gar nichts ausmacht. Und erzähl mir, wie’s weitergeht. So, und jetzt gehen wir lieber zurück nach Hause, ehe deine Mutter einen Suchtrupp nach uns ausschickt, okay?«
    Â»Okay. Ich hab dich lieb, Grandma.«
    Â»Und ich hab dich lieb, Schatz.«
    Als du am nächsten Tag von der Schule nach Hause kamst, warst du viel fröhlicher.
    Â»Wie war’s?«, habe ich dich gefragt, als wir allein waren.
    Â»Ganz okay. Ich habe ihnen genau das gesagt, was du mir geraten hast. Und ich habe ihnen meine Tasche hingehalten und gesagt: ›Hier, wenn ihr meine Hefte nehmen wollt, bedient euch ruhig.‹ Und weißt du was? Sie sind einfach weggegangen.«
    Damit war die Geschichte natürlich noch nicht zu Ende, aber immerhin war das Schlimmste vorbei. Und ein paar Wochen später hast du einen der begehrten Plätze in der Kunstturngruppe bekommen, und plötzlich wurdest du über Nacht zum Superstar, den alle zur Freundin haben wollten. Doch ich war vor allem stolz auf dich, weil du die Auseinandersetzung mit diesen Mädchen allein durchgestanden hast und dich von ihnen nicht hast unterkriegen lassen. Und, ich muss zugeben, insgeheim war ich auch stolz, dass du dich mir anvertraut hast, als du es nicht über dich brachtest, deiner Mutter von deinen Sorgen zu erzählen. Dieses Vertrauen, diese Verbundenheit habe ich immer zu schätzen gewusst. Ich weiß, was ich daran habe.
    Und deshalb frage ich mich jetzt auch, ob ich nicht einen großen Fehler begangen habe, als ich dich um Hilfe bat. Als ich dich in einen Teil meines Lebens blicken ließ, den ich mehr als sechzig Jahre verborgen gehalten habe. Ich habe dir einen Schock versetzt, und das ist auch kaum verwunderlich. Zwar ist es ein Klischee, dass die Jugend glaubt, die sexuelle Liebe sei allein ihr vorbehalten, aber wie die meisten Klischees hat es einen wahren Kern. Keiner möchte sich vorstellen, wie es die eigenen Eltern tun – geschweige denn die Großeltern. Eine Großmutter muss nett und heimelig sein. Sie darf ihren Ehemann als Freund lieben. Sie darf ihre Kinder lieben, ihre Enkel und ihre Hunde, Katzen und Kanarienvögel. Aber alles andere ist unvorstellbar – geradezu skandalös. Eine Form von Liebe, die sich an Berührungen erinnert, die Herz und Sinne taumeln lassen, Liebe, die ein Prickeln auf der Haut verursacht und in der Seele ein Feuer entfacht, das so hell brennt, dass es Vernunft, Gewissen und Pflichtgefühl außer Kraft setzt – nein, eine solche Liebe ist nicht erlaubt.
    Es war dumm von mir zu glauben, dass ausgerechnet du es verstehen würdest. Dumm, dass mir überhaupt diese Gedanken gekommen sind. Aber andererseits war ich nie so klug, wie ich hätte sein können. Ich habe auf mein Herz gehört, als ich besser meinen Kopf eingesetzt hätte, und auf meinen Kopf gehört, als ich besser meinem Herzen gefolgt wäre. Kein Zweifel, schließlich liegt der Beweis hier vor mir: in dem Tagebuch, das ich während der Kriegsjahre geführt habe, und dem Album mit den verblichenen Fotos.
    Das Datum springt mir von dem sich lösenden Etikett entgegen, »April 1942 bis Januar 1944«, und versetzt mich schlagartig in die Vergangenheit zurück, so dass ich fast das Mädchen berühren kann, das ich einmal war. Einundzwanzig und unglücklich verliebt. Auge in Auge mit dem Tod und dennoch so lebendig wie nie. Schon damals habe ich instinktiv geahnt, dass diese Jahre der Dreh- und Angelpunkt meines gesamten Lebens sein würden, doch mir war nicht klar gewesen, wie sehr sie nicht nur meine Zukunft, sondern auch die anderer Menschen formen sollten.
    Natürlich hätte ich das Tagebuch schon längst wegwerfen sollen – zusammen mit so vielen anderen Dingen. Es war töricht, es zu behalten. Aber
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