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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Carr
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Nancy dort stehen, ein wenig zaghaft und unsicher, so als rechne sie damit, dass Ellen gleich die nächste Schimpftirade gegen sie loslässt. Ellen seufzt. Darüber ist sie jetzt hinweg.
    Â»Ich habe dich vom Fenster aus gesehen. Schatz, du bist barfuß, und das Gras ist so nass …«
    Â»Ist schon gut, Mom. Ich bin nicht mehr zehn Jahre alt.«
    Â»Ja, das stimmt.« Aber ich bin immer noch deine Mutter . Nancy spricht den Satz nicht aus, aber das braucht sie auch nicht.
    Â»Ich konnte nicht schlafen«, sagt Ellen.
    Â»Ich auch nicht.« Nancy trägt einen bunt gemusterten Seidenkimono, an den sich Ellen noch gut erinnern kann. Diesen Kimono hat sie immer getragen, wenn sie Pfannkuchen zum Frühstück machte. Hübsch. Sie war so hübsch gewesen. Jetzt sieht sie winzig und zerbrechlich aus. Und unsicher. Völlig verunsichert.
    Â»Mom …« Ellen zögert. »Ich glaube, ich habe einiges gesagt, was ich besser nicht gesagt hätte.«
    Â»Kein Wunder. Ich weiß, dass das ein furchtbarer Schock für dich war, Schatz. Wir hätten es dir schon vor Jahren sagen sollen, aber irgendwie haben wir gedacht, dass du es nicht unbedingt erfahren müsstest. Du hast Joe liebgehabt, und er hat dich liebgehabt, sehr sogar. Er war immer so stolz auf dich. Ich glaube, irgendwann hat er selbst vergessen, dass er nicht dein leiblicher Vater war. Du warst seine Tochter, und das war alles, was zählte. Aber als er tot war und nicht mehr darunter leiden konnte … vielleicht hätte ich es dir da sagen sollen.« Sie schwieg einen Moment und verlor sich in ihren Gedanken. »Allerdings wäre es mir immer noch wie ein Verrat an Joe vorgekommen.«
    Â»Aber warum hast du es mir dann jetzt erzählt?«
    Â»Weil ich erkannt habe, dass ich euch die Wahrheit schuldig bin. Nicht nur dir, sondern auch Sarah. Und vermutlich hat sie das genauso schwer getroffen wie dich. Sie hat Joe auch vergöttert. Aber sie muss wissen, wer sie ist und von wem sie abstammt – genau wie du.«
    Sie schweigen längere Zeit, zwei geisterhafte Gestalten im weichen Mondlicht. Dann fragt Ellen: »Wie war er, mein richtiger Vater?«
    Plötzlich ist Nancy zum Weinen zumute, aber diesmal vor Erleichterung.
    Â»Er war ein wunderbarer Mensch, mein Schatz. Du wärst stolz auf ihn gewesen, wenn du ihn gekannt hättest.« Sie zögert und kommt dann zu einem Entschluss. »Warum holen wir uns nicht etwas zu trinken und setzen uns auf die Terrasse? Dann erzähle ich dir von ihm.«
    Zu ihrer Erleichterung nickt Ellen. »Setz du dich schon mal hin, Mom! Ich mache die Drinks.«
    Â»Gut«, stimmt Nancy zu. Sie fühlt sich plötzlich unsäglich erschöpft, aber wagt langsam zu hoffen, dass vielleicht doch noch alles zu einem guten Ende kommt. Sie haben noch einen langen Weg vor sich, aber immerhin tun sie nun die ersten Schritte.
    Â»Im Kühlschrank ist Milch, und Kakao und Malzpulver sind in der Anrichte«, sagt sie. »Und falls dir eher nach einem Gläschen zumute ist, findest du auch noch etwas Jack Daniels in der Flasche – das heißt, falls Ritchie ihn nicht inzwischen ausgetrunken hat … Obwohl ich das eigentlich nicht glaube, denn er hat morgen einen langen Flug vor sich, und übermorgen muss er nach Houston, wenn ich mich nicht täusche.«
    Aber Ellen möchte jetzt nicht über Ritchie sprechen. »Ich mache uns etwas zu trinken, Mom«, sagt sie und verschwindet in der Küche.
    Sie unterhalten sich fast eine Stunde; Nancy erzählt Ellen Sachen, die sie ihr noch nie zuvor erzählt hat. Über England. Die ATA . Mac. Voller Enthusiasmus fängt sie an; sie möchte Mac gern gerecht werden, damit seine Tochter erkennt, was für ein Mann er wirklich war. Tapfer, ehrenhaft, nicht etwa ein Hallodri, der sie ausgenutzt hat, so wie Joe ihn wahrscheinlich immer gesehen hatte.
    Doch bald verliert sie sich in ihren Erinnerungen; sie muss sogar lachen, als sie ein paar Episoden erzählt – zum Beispiel, wie sie sich mit dem Flugzeug überschlagen hat, als sie ihm zum ersten Mal begegnet ist. All die schönen Momente, die sie inmitten von Gefahr und Bedrohung miteinander geteilt haben.
    Â»Das hättest du mir längst erzählen sollen, Mom«, sagt Ellen.
    Â»Ich weiß. Du hättest ihn treffen können. Du lebst gar nicht so weit von seinem letzten Wohnsitz entfernt. Aber nun ist es zu spät.

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