Ein kleines Stück vom Himmel nur
ich nach England. Und wenn Ihnen das nicht passt, tut es mir leid.«
Nancy hätte nicht mehr genau sagen können, seit wann sie sich eingeengt fühlte, aber der schlimmste Augenblick war zweifellos gewesen, als Joe sie gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie die Dinge einfach laufen lassen und versucht zu ignorieren, dass er sich in sie verliebt hatte, oder sich jedenfalls keine groÃen Gedanken darüber gemacht. Ihre Arbeit machte ihr SpaÃ, jeder Tag brachte neue Herausforderungen. Abends kehrte sie gern heim in ihren Wohnwagen, das erste richtige Zuhause, das sie kannte. Sie hatte sich dort so gemütlich wie möglich eingerichtet, mit neuen Kissen und Ãberwürfen und den wenigen eigenen Besitztümern, die sie mitgebracht hatte. Sie war gern in Joes Gesellschaft. Er hatte einen trockenen Humor und betrachtete die Welt mit einem Pragmatismus, der jedes Problem leicht lösbar erscheinen lieÃ. Joe glättete die Wogen in ihrem stürmischen Leben. »Hat gar keinen Sinn, sich ständig Sorgen zu machen«, sagte er immer und hielt sich auch selbst an diesen Grundsatz.
Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie es anfangs sogar genossen, dass er eine Schwäche für sie besaÃ. Das erkannte sie an seinem Blick und an der Fürsorglichkeit, die er an den Tag legte. Er kontrollierte ein bisschen zu gewissenhaft den Zustand der Flugzeuge, die sie fliegen sollte, und überprüfte vor ihrem Start stets nochmals den Wetterbericht, obwohl er genau wusste, dass sie das selbst tat. Einmal stauchte er einen Mechaniker zusammen, der ihr frech gekommen war, und drohte ihm, ihn auf der Stelle zu entlassen. Nancy hatte ihn noch nie so wütend erlebt â ausgerechnet Joe, der für seine ruhige, umgängliche Art bekannt war. Sie hatte die Situation entschärfen müssen und ihm gesagt, dass es wirklich nicht wichtig sei und sie keineswegs eine empfindliche Primel sei, die sich von ein paar derben Sprüchen umwerfen lieÃ. Doch sie hatte es genossen, wie er die Beschützerrolle spielte, ausgerechnet sie, die immer so unabhängig gewesen war. Es vermittelte ihr ein neues Selbstwertgefühl, und genau das brauchte sie nach allem, was geschehen war, bevor sie nach Varna kam. Wenn dieser grundanständige, nette Kerl mich mag, bin ich vielleicht trotz allem etwas wert, dachte Nancy sich. Die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, lieà sie wieder an eine Zukunft glauben, die nicht von Trauer und Reue geprägt war, sondern hell und verheiÃungsvoll erschien.
Manchmal saà sie abends allein in ihrem Wohnwagen, in dem sich die Hitze des Tages gestaut hatte. Von drauÃen erklang das laute Zirpen der Grillen wie eine Sinfonie, und dann fragte sie sich sogar, ob diese Zukunft eine gemeinsame Zukunft mit Joe sein könnte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, mit ihm verheiratet zu sein, mit zwei oder drei Kindern, in einem Haus, wo es nach Plätzchen und Brathähnchen roch und ein Schaukelstuhl auf der Veranda stand. Als ferner Traum war diese Vorstellung durchaus in Ordnung. Solange sie ausreichend Abstand hatte, konnte sie gut damit umgehen.
Das erste Mal, als Joe sie küsste, war auch noch in Ordnung. Sie hatte befürchtet, dass sie sich umdrehen und davonrennen würde, wenn es passierte, aber das tat sie nicht. Sie mochte das Kratzen seiner Bartstoppeln an ihrem Kinn und sie spürte gern seinen festen Mund auf ihren Lippen. Es gefiel ihr, wie sie mit ihm zu verschmelzen schien. Sie mochte seine starken, festen Armmuskeln und die breiten Hände mit den feinen, von der Sonne gold gebleichten Härchen. Und es war ein schönes Gefühl, den Kopf an seine Brust zu legen und seinem Herzschlag zu lauschen; es war, als atmeten sie beide im Einklang. Sie mochte alles an ihm. Aber sie liebte ihn nicht. Und das war der springende Punkt, den sie nicht einfach übergehen konnte. Irgendwo musste es noch mehr geben. Was genau, wusste Nancy nicht. Sie wusste nur, dass da mehr sein musste.
An dem Abend, bevor er seinen freiwilligen Dienst bei der Air Force antrat, hatte Joe ihr einen Heiratsantrag gemacht, und plötzlich hatte sich alles verändert. Die Zukunft war nicht länger eine ferne, neblige Landschaft, sie war zum Hier und Jetzt geworden. Und das gefiel Nancy kein bisschen.
Sie standen in der Abenddämmerung auf der vorderen Veranda, ans Geländer gelehnt, und teilten sich eine Schachtel
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