Ein Knödel zu viel: Kriminalroman (German Edition)
trauernde Frau erwartet, aber niemanden, der dermaßen geschäftsmäßig auftrat. Aber vielleicht täuschte ihn auch ihr schickes Kostüm, das Marie Schneiders wie eine erfolgreiche Managerin aussehen ließ. Vermutlich konnte sie ihre Trauer nur nicht richtig zeigen, dachte Mayr.
»Was haben Sie jetzt vor, wenn ich fragen darf?«
»Ich werde nachher nach Kempten fahren. Der Bestatter wartet schon auf meinen Besuch. Ich bin so unerfahren in diesen Dingen. Wollen Sie mich nicht begleiten? Sie würden mir einen großen Gefallen tun.« Marie Schneiders’ Blick wirkte jetzt unsicher, fast scheu. »Ernst hätte gewollt, dass er hier beerdigt wird.«
Mayr nickte nachdenklich. »Warum eigentlich ausgerechnet Moosbach? Was war es, das Ihren Freund so fasziniert hat, dass er hier leben wollte?«
Sie sah auf ihre Hände und spielte mit dem schmalen Ring aus Weißgold, der einen kleinen Diamanten hielt. Dann sah sie auf. In ihrem Blick lag eine Mischung aus Trauer und Nachdenklichkeit. »Das lässt sich nicht in einem Satz erklären, Herr Kommissar.«
»Dann sollten Sie es mir in Ruhe erzählen, Frau Schneiders.«
»Ernst ist«, sie verbesserte sich, und dabei zitterte ihre Unterlippe, »Ernst war gerne in der Natur. Er hat diese nahezu unberührte Landschaft geliebt. Diese sanften Hügel, den Grünten.« Sie sah zum Fenster. »Und den See. Der See übte eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn aus. Er ist oft unten gewesen. Ganz früh, noch vor Sonnenaufgang. Oder auch nachts, wenn er mal wieder nicht schlafen konnte. Der See gibt mir Ruhe, hat er dann gesagt. Er gibt mir Kraft. Er spricht sogar mit mir.«
»Der See spricht?«
»Waren Sie schon einmal im Winter hier oben? Wenn der See zugefroren ist? Wenn der Wasserspiegel so viel tiefer liegt als das Eis? Dann ist es unheimlich dort. Das Eis knackt und knarzt, wenn es reißt. Es rumort dumpf im See, als würden ihn von tief unten Sirenen mit dunkler Stimme locken, hat Ernst erzählt. Wenn ich nur daran denke, bekomme ich Gänsehaut.« Sie rieb sich über die Unterarme.
»So kann es klingen, ja.« Robert Mayr dachte an seine Winterurlaube in Island. Wenn die Trolle ihre Späße trieben, musste es so ähnlich klingen.
Marie Schneiders lächelte. »Ist das nicht seltsam? Ernst war ein Zahlenmensch, absolut rational und geradezu emotionslos, wenn es um sein Geschäft geht. Aber hier? Hier war er ein ganz anderer. Sagen Sie mir bitte, wie passt das zusammen? Auf der einen Seite der erfolgreiche Immobilienmakler, dem Zahlenwerke, Kalkulationen, Risikoabschätzungen, Marktanalysen wie von selbst von der Hand gingen. Und auf der anderen Seite der sanfte Naturliebhaber, der sich über jede kleine Blume, über das Grün der Wiesen, über jeden Baum freuen konnte, dem er auf seinen Spaziergängen begegnete.«
»Sagen Sie es mir. Sie waren mit ihm zusammen.« Robert Mayr war gespannt. Marie Schneiders’ Gesichtsausdruck hatte sich von arroganter Geschäftsmäßigkeit zu der weichen Nachsichtigkeit einer verliebten Frau gewandelt, die harten Konturen um ihren Mund waren verschwunden.
»Ernst war nicht glücklich.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Seine Geschäfte haben ihn aufgefressen. Er hat immer mehr Kraft aufwenden müssen, um seinem Beruf nachgehen zu können. Von Burn-out hat er aber nichts wissen wollen.«
»Hatte er Feinde?« Da war sie wieder, die alte Leier, dachte Mayr: Das Opfer war bedroht worden, erpresst oder was sonst noch möglich war. Immer das gleiche Lied.
»Nein. Ernst war beliebt. Ein tougher Geschäftsmann, aber er war fair zu den Leuten. Das haben sie gespürt und ihm hoch angerechnet. Nein, Herr Kommissar, das wäre zu einfach. Ich weiß von keinen Feinden.«
»Waren Sie denn über alles informiert? Hat er Sie in alles eingeweiht, was seinen Beruf betraf?«
Mit einem Mal war der harte Gesichtsausdruck wieder da. »Wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Ernst hat mich oft um Rat gebeten. Wir haben uns in vielerlei Hinsicht ergänzt.«
»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.« Robert Mayr hatte mit einem Mal ein ungutes Gefühl. Das Ganze klang ihm zu glatt. Wie eine wohlüberlegte Inszenierung.
»Ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich würde gerne gehen.« Sie sah auf ihre Uhr.
Mayr nickte. Es würde schon noch die richtige Gelegenheit kommen, um hinter ihre makellose Fassade zu blicken. »Keine Frage. Ich muss ohnehin zurück ins Büro. Wenn Sie wollen, können wir gleich fahren.«
»Nicht gleich. Ich würde gerne noch einmal zum Haus
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