Ein Knödel zu viel: Kriminalroman (German Edition)
Luft mehr zwischen sich und den Flurwänden.
»Ich weiß nicht, ob ich im Augenblick etwas für Sie tun kann?« Jakisch wollte nicht unhöflich sein, obwohl ihn der Gedanke beschlich, dass Laumen sich mal eine berufliche Auszeit nehmen sollte. Sich so aufzuregen war gesundheitlich höchst gefährlich. Auch Kanaren hatten schwache Herzen.
Laumen sah Jakisch einen Moment so an, als ob er ihn in diesem Augenblick zum ersten Mal sähe, und winkte ab. »Ich habe zu tun.«
Auf dem Weg zu seinem Wagen wurde das Grinsen auf Jakischs Gesicht zunehmend breiter. Es gab wohl keine Verwaltung auf der Welt, die im Laufe ihrer Existenz keine seltsamen Vögel hervorbrachte.
Kurze Zeit später stand Carsten Jakisch vor dem Haus, in dem das Ehepaar Dürselen eine Etage bewohnte. Das Haus war in einem hellen Grau gestrichen und sicher schon mehr als 100 Jahre alt. Zumindest nahm Jakisch das an, denn der Stuck war ziemlich üppig.
Der Kemptener Kriminalbeamte drückte die Klingel und sah sich um. Nicht weit von ihm stand der Jugendstilwasserturm, der das Viertel spektakulär überragte und sicher nicht wesentlich jünger war als das Haus. Jakisch sah auf seine Armbanduhr. Vielleicht war es doch schon zu spät für einen Besuch.
»Ja, bitte?«
»Kann ich Sie kurz sprechen? Mein Name ist Jakisch. Ich komme von der Kriminalpolizei.«
Er hatte sich kaum vorgestellt, als der Türsummer ertönte. Unvermittelt stand Jakisch in einem großzügigen Flur, der von einer hellen Deckenlampe aus massivem Messing erleuchtet wurde und dessen Seitenwände mit Marmor ausgekleidet waren. Erwartungsvoll stieg er die breite Treppe hinauf und wartete vor der dunklen Eichentür, deren Zierornamente zum Stuck des Flures passten. Nach der drückenden Hitze des zu Ende gehenden Tages war es hier angenehm kühl.
Zögernd wurde die Tür geöffnet. »Kann ich Ihren Ausweis sehen?«
Vor ihm stand eine gebeugte Frau mit fast weißem Haar. Ihre Gesichtszüge waren fein geschnitten, das Gesicht einer attraktiven Frau. Aus den Ermittlungsakten wusste er, dass Julias Mutter Anfang fünfzig war. Das Gesicht der Frau hatte jede Farbe verloren. Auf ihren zögernden Bewegungen lag die erdrückende Last, ihr Kind verloren zu haben. Trotz der Hitze trug sie ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid, als könnte der Stoff ihrem gebeugten Körper Halt geben.
»Kommen Sie.« Ihre Stimme war dünn und klang müde.
Carsten Jakisch folgte ihr in das Wohnzimmer. Dort waren alle Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen.
Katharina Dürselen bemerkte den erstaunten Blick des Kommissars. »Ich ertrage das Licht nicht mehr. Ich ertrage das Zwitschern der Vögel nicht mehr. Ich ertrage mich selbst nicht mehr. Bitte verstehen Sie, dass ich Ihnen nichts anbieten kann. Ich bin nicht auf Besuch eingerichtet.«
Carsten Jakisch trat von einem Bein auf das andere. In seinem T-Shirt fühlte er sich wie ein Eindringling in eine für ihn verbotene Welt. Er schwitzte. Es war stickig. In den Vorhängen, den schweren Sitzmöbeln und vor den glatten Flächen der Schrankwand staute sich die Hitze und verschweißte sich anscheinend mit Trauer und der Einsicht, ein letztlich sinnloses Leben geführt zu haben.
»Wenn Sie wollen, spreche ich gerne auch nur mit Ihrem Mann.«
Sie winkte ab. »Mein Mann. Morgens steht er auf, verlässt das Haus und kehrt oft erst tief in der Nacht zurück. Er spricht seitdem kein Wort mehr. Ich weiß nicht, wo er ist, ich weiß nicht, was er denkt. Er macht mich traurig, und er macht mich wütend. Ich brauche seine Hilfe, ich ersticke in diesem Leben, aber ich bekomme nichts.«
Was hatte er diese Frau fragen wollen? Welchen Halt hatte er ihr geben wollen? Welche Fragen würde er beantworten können? Hätte er doch Frank oder Ecki mitgenommen oder noch besser Schrievers, sie hätten gewusst, was zu tun wäre.
»Es tut mir leid.« Mehr brachte er nicht heraus.
Katharina Dürselen sah Jakisch lange an, bevor sie sprach. »Meine Tochter war eine Hure. Was tut Ihnen da leid? Sie hat es so gewollt. Sie hat gewollt, dass ihre Eltern leiden müssen. Ihnen muss nichts leidtun.« Sie straffte sich. »Was wollen Sie, dass ich Ihnen nicht schon gegeben habe? Sie haben meine Tochter aufschneiden lassen, Sie haben sie zur Beerdigung freigegeben, wir haben alles gesagt. Was wollen Sie noch?«
»Wir möchten Ihnen den Täter nennen können.« Er suchte nach den richtigen Worten. »Das sind wir Ihnen schuldig, Ihnen und Ihrer Tochter.«
»Sie sind mir gar nichts
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