Ein König für Deutschland
»Absolut unköniglich. Sie brauchen einen Sekretär. Darum werde ich mich kümmern.«
»Ich brauche keinen Sekretär«, hatte Simon erwidert, »ich brauche jemanden, der mir Tipps gibt, wie ich mich nicht blamiere.«
»Ach«, hatte Alex gemeint, »machen Sie sich keine Sorgen. Erzählen Sie einfach irgendwas. Ruhig was Kontroverses. Je mehr Sie ihn aufregen, desto größer wird der Artikel. Any publicity is good publicity , heißt es, und meiner Erfahrung nach stimmt der Spruch absolut.«
Das war nicht gewesen, was Simon hatte hören wollen. Einfach irgendwas erzählen , das war für ihn gleichbedeutend mit: sich zum Narren zu machen. Nein, das brachte er nicht über sich.Wenn er schon bei diesem Zirkus mitmachte, wollte er dabei wenigstens einigermaßen vernünftig aussehen. Also verbrachte er nach dem Telefonat jede freie Minute damit, sich Argumente zurechtzulegen, die zwar nicht seinem Standpunkt entsprachen, aber zumindest zurechnungsfähig klangen.
Die Frage nach der Abstammung war natürlich vorhersehbar gewesen.
»Ich denke«, begann Simon mit aller Ruhe, die er aufbringen konnte, »über den Begriff ›königliches Blut‹ sollten wir heutzutage hinaus sein. Wenn ein König im Krankenhaus liegt und eine Blutübertragung benötigt, braucht er keine Blutspende eines anderen Königs, sondern einfach nur Blut der richtigen Blutgruppe, nicht wahr?«
Der Journalist, ein magerer, wieseliger Mann mit ergrauenden Locken, schmunzelte. »Stimmt. Aber in Fragen der Thronfolge spielt die Abstammung nun einmal die entscheidende Rolle.«
»Mit einer Frage der Thronfolge haben wir es aber nicht zu tun«, erwiderte Simon. Das Gerät, das der Journalist auf den Tisch gelegt hatte, blinkte gemächlich vor sich hin. »Es gibt im Moment ja keine Monarchie in Deutschland. Ein Thron muss erst geschaffen werden. Darum geht es.«
»Gut. Aber warum Sie?«
Aus irgendeinem Grund wollte Simon das, was er sich für eine derartige Frage überlegt hatte, nicht einfallen, und so sagte er, um überhaupt etwas zu sagen, vage: »Einer muss es schließlich tun.« Und weil der Mann ihn daraufhin nur neugierig, aber schweigend ansah, fuhr er fort: »Und soweit ich sehe, ist sonst niemand bereit dazu.«
»Dann reicht Ihr Blick vielleicht nicht weit genug«, meinte der Journalist. »Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, dass noch etliche Dynastien existieren, die in der Vergangenheit deutsche Könige oder Kaiser gestellt haben. Bei einer Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland könnten diese Familien zweifellos ältere Rechte geltend machen als Sie.«
Auch mit diesem Argument hatte Simon gerechnet.
»Das bestreite ich«, sagte er. »Und zwar bestreite ich, dass diese›älteren Rechte‹, wie Sie es nennen, heute noch irgendeine Rolle spielen. Die alte Monarchie mitsamt dem damit verbundenen Adel ist ja nicht ohne Grund untergegangen. Dieser Grund war, dass sie an ihrer Aufgabe, nämlich das Volk, den Staat, angemessen, gerecht und friedlich zu lenken, gescheitert sind. Mit diesem Untergang sind alle Rechte erloschen. Das ist genauso, wie wenn ein Firmeninhaber bankrott geht und Konkurs anmelden muss: Damit verliert er auch sämtliche Ansprüche auf das mit seiner Firma verbundene Vermögen. Nein, was wir brauchen, ist ein kompletter Neuanfang.«
»Aber warum eine Monarchie? Was gefällt Ihnen nicht an der jetzigen Regierungsform?«
Hätte man Simon diese Frage gestellt, bevor das alles über ihn hereingebrochen war – angefangen mit Vincents unglückseligem Brief an jenem lange zurückliegenden Montagmorgen –, hätte er geantwortet, dass die momentane Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland zwar ihre Nachteile haben mochte, insgesamt aber nicht so viele, dass es nötig sei, über eine derart radikale Alternative wie die Monarchie auch nur eine Sekunde lang nachzudenken.
Diese Antwort verbot sich aber natürlich in seiner Situation, weswegen er viel Mühe darauf verwendet hatte, nach Gründen zu suchen, die für die Monarchie als Staatsform sprachen. Wenn man sich anstrengt, lässt sich bekanntlich alles begründen.
»Vieles in der Politik ist Symbol«, begann Simon. »Staatsoberhäupter, die sich die Hände reichen: ein Symbol. Die Schleife eines Kranzes zurechtzulegen: eine symbolische Handlung. Und so weiter. Niemand, der mit Politik und Geschichte zu tun hat, wird in Abrede stellen, dass Symbole von großer, vielleicht sogar von entscheidender Bedeutung sind.«
»Absolut richtig«, bestätigte der andere
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