Ein König für Deutschland
gefährlich Wahlcomputer wirklich sind, wird so nie wiederkommen!«
»Hören Sie – dass das passiert ist, ist nicht meine Schuld, sondern die Ihres Freundes Rüdiger. Ich sehe nicht ein, dass ich das jetzt ausbaden soll.«
»Es tut ihm bestimmt schrecklich leid«, meinte Sirona lahm.
»Erstens tut es ihm kein bisschen leid, im Gegenteil, er findet das nach wie vor eine tolle Idee«, sagte Simon. »Und zweitens hätte ich davon nichts. Was ich brauche, ist eine Rehabilitation.«
»Aber die werden Sie doch kriegen!« Das Mädchen klang regelrecht verzweifelt. »Bis zu den Wahlen sind es nur noch ein paar Wochen …«
»Ich würde eher sagen, noch fast drei Monate«, sagte Simon.
»… und wenn alles so klappt wie geplant, dann sind Sie doch der Held der Demokratie schlechthin!«, beschwor sie ihn. »Okay, Sie erregen jetzt ein bisschen Aufsehen, und das ist vielleicht momentan unangenehm, aber auf lange Sicht gesehen … Verstehen Sie? Wenn Sie jetzt versuchen, das mit dem manipulierten Programm zu erklären – das verstehen die meisten Leute doch gar nicht. Aber Zantini wird es verstehen. Er wird das Programm nicht einsetzen, sondern ändern lassen oder die Aktion verschieben – und wie stehen Sie dann da? Erst recht als Spinner, würde ich sagen.«
»Aber –« Simon hielt inne. Die Erwähnung Zantinis hatte ihn zusammenzucken lassen. Die Schmach jenes Abends war nurverdrängt, nicht vergessen. Und Lila fiel ihm ein, wie sie ihm mit bebender Stimme erzählt hatte, dass Vincent lebenslängliche Haft drohte, sollte je herauskommen, dass er erneut in illegale Computermanipulationen verwickelt war. Und so vernetzt, wie die Welt heutzutage war, würde der zuständige Staatsanwalt davon erfahren, sobald er, Simon, mit seiner Geschichte herausrückte.
Simon betrachtete sein Abbild im Flurspiegel, fühlte Entsetzen. Nein. Diese Schuld würde er nicht auch noch auf sich laden.
»Meinetwegen«, sagte er. »Ich spiele mit. Gute Miene zum bösen Spiel machen nennt man das wohl.«
Er hörte sie erleichtert ausatmen. »Gut«, stieß sie hervor. »Das ist gut.«
»Hoffen wir es«, meinte Simon.
Dann legte er auf und fragte sich, was wohl als Nächstes passieren mochte.
Es war seltsam, auf einmal so viel Zeit zu haben. Es war anders, als er es von Schulferien her gewohnt war: Da hatte er stets Arbeiten zu korrigieren gehabt, Unterricht vorzubereiten und dergleichen. Aber jetzt – gar nichts.
Nun, wenigstens konnte er sich für die Zubereitung seiner Mahlzeiten endlich so viel Zeit nehmen, wie diesem Vorgang gebührte; brauchte sich nicht zu hetzen. Er ging in die Küche und füllte Weizen in die Kornmühle, um Mehl für ein frisches Vollkornbrot zu mahlen.
Das Telefon klingelte wieder. Diesmal war es eine fremde Stimme, ein Mann, der erklärte, er sei Journalist und wolle ihn interviewen.
»Gern«, sagte Simon.
***
Simon verabredete sich mit dem Journalisten für den übernächsten Tag. Da auch ein Fotograf dabei sein würde, ging Simon noch rasch zum Friseur und zog für die Begegnung seinen besten Anzug an.
Sie fotografierten ihn vor seiner Bibliothek, auf seinem Balkon und in seinem Lesesessel, der, ein hochlehniger Ohrensessel aus dunklem Leder, durchaus etwas von einem Thron hatte. Sie ließen ihn verschiedene staatsmännisch wirkende Posen einnehmen, baten ihn Dutzende Male um Dinge wie das Kinn ein wenig zu senken, eine Idee weiter nach links zu blicken, mehr zu lächeln, weniger zu lächeln, die Augenbrauen zu heben und so fort, was sich alles merkwürdig anfühlte, aber, wie Simon zugeben musste, als sie ihm nachher die Bilder auf dem kleinen Monitor der Kamera zeigten, in der Tat eindrucksvoll wirkte. Sie hatten sogar die Nachbildung eines Reichsapfels mitgebracht, aus Holz und Plastik zwar, aber das war auf den Fotos, die sie damit machten, nicht zu erkennen: Dort wirkte es, als hielte er ein schweres Reichsinsignium aus purem Gold in der Hand.
»Wie leiten Sie Ihren Anspruch auf den deutschen Königsthron ab?«, lautete anschließend die erste Frage des Journalisten. »Was für Verbindungen weist Ihr Stammbaum auf? Oder anders gefragt: Wie viel königliches Blut fließt in Ihren Adern?«
Simon hatte, nachdem der Termin für das Interview ausgemacht war, mit Alex telefoniert, um sich beraten zu lassen, was es dabei zu tun oder zu unterlassen galt.
»Das ist natürlich unmöglich, dass Sie so banale Dinge wie Termine zu vereinbaren selber erledigen«, war dessen erster Kommentar gewesen.
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