Ein König für San Rinaldi
Feuer.
Im Palast dagegen war es erträglich. Durch die Bauweise wurde jede Möglichkeit natürlicher Kühlung genutzt. Das galt sowohl für die Räume im Trakt für die Frauen als auch für den schönen Innenhof.
Als sie am Morgen aufgewacht war, hatte Natalia sofort den Rosenduft wahrgenommen, der aus dem Hof kam. Sie hatte ein sanftes Wasserplätschern, gurrende und flatternde Tauben gehört. Alles in diesem Palast schien darauf ausgerichtet, die Sinne anzusprechen und Wohlbehagen zu erzeugen. Das erstreckte sich bis hin zu dem aromatischen Kaffee, den Natalia nun trank. Währenddessen bewunderte sie ihre Umgebung und ließ die Ereignisse seit der Ankunft in Hadiya am Vorabend Revue passieren.
Wie traditionell orientalisch hier die Bräuche noch waren, schockierte sie insgeheim. Zum Beispiel hatte sie nicht an dem ersten Empfang teilnehmen dürfen. Nur durch das kunstvoll verzierte Gitter, das den Raum der Frauen vom Festsaal trennte, hatte Natalia einen Blick auf ihren Mann werfen können. Im Festsaal hatte Kadirs Bruder einen sogenannten öffentlichen Diwan abgehalten.
Ungewohnt war für Natalia auch, dass die Bewohner von Hadiya theoretisch ungehindert bei einem solchen Diwan erscheinen und Fragen an den Herrscher richten durften. Eine junge Frau war Natalia zugeteilt worden, um ihr das Protokoll und die Sitten des Landes zu erklären. Von ihr erfuhr Natalia, dass die Bitt- und Fragesteller heutzutage erst gründlich überprüft wurden, ehe sie sich dem Scheich nähern durften.
Diesen Brauch fand sie sehr praktisch. Denn dadurch war der Herrscher für die Bevölkerung in allen Belangen des Lebens ansprechbar. Ob San Rinaldi vielleicht davon profitieren konnte?
Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Wahrscheinlich dachten nur wenige Ehefrauen an Politik, wenn sie vor wenigen Tagen geheiratet hatten. Erst recht nicht, wenn sie mit einem so gut aussehenden Mann wie Kadir verheiratet waren. Andererseits verbrachten wohl auch nur wenige frischvermählte Frauen die Nächte allein in ihrem Bett.
Dass ein Paar getrennt schlief, hatte nichts mit dem Protokoll von Hadiya zu tun. Basima, Natalias Begleiterin und Beraterin, hatte sogar eine dezente Andeutung gemacht. Dass der Mann seine Frau in ihren Räumlichkeiten aufsuchte, galt in diesem Land als sehr schicklich.
„Es war der Wunsch des Scheichs, dass Sie die Räume seiner Mutter erhalten“, hatte Basima erklärt.
Natalia nahm zuerst an, dass Kadir sie in der Wohnung seiner Mutter untergebracht hatte. Bald stellte sich jedoch heraus, wer gemeint war: Kadirs Bruder, der sympathische und freundliche neue Scheich. Er hatte die Räume eigens für Natalia herrichten lassen.
Außerdem hatte sie heute eine schöne und arrogante Frau kennengelernt, die ihr als Tochter einer prominenten Familie vorgestellt wurde – Zahra Rafiq. Es ging doch nichts über den weiblichen Instinkt. Ohne zu wissen warum, hatte Natalia die Frau sofort unsympathisch gefunden. Noch bevor Zahra ihr unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie Kadirs Geliebte war.
War oder ist sie immer noch seine Geliebte, fragte sich Natalia. Zahra ließ jedenfalls keinen Zweifel daran, dass sie die Beziehung zu Kadir fortsetzen wollte. Aber Zahra lebte in Hadiya. Und Kadir wiederum hatte behauptet, seine Rolle als König von San Rinaldi würde für ihn stets an erster Stelle kommen und ihm wichtiger als alles sein. Das hatte er allerdings in einem anderen Zusammenhang gesagt.
Hatte er die letzte Nacht mit Zahra verbracht? Natalias Hände zitterten plötzlich heftig. Vorsichtshalber stellte sie das Parfumfläschchen weg, das ihr der Glasbläser in Venedig geschenkt und das sie aus einem Impuls heraus nach Hadiya mitgenommen hatte.
Zahra war bei ihr in diesen Räumen gewesen, hatte sich umgesehen und auch nach dem Fläschchen gegriffen. Als das herrlich schimmernde Glas in Zahras Händen stumpf und blass wirkte, hatte Natalia nur gelächelt.
Hastig hatte Zahra den Flakon zurück auf den Tisch gestellt und geringschätzig betrachtet. Natalia dagegen liebte das Fläschchen, das in ihrer Hand schimmerte und leuchtete. Jedes Mal, wenn sie es berührte, strahlten die Farben eine Wärme aus, die alle Wunden heilte. Das lieferte ihr den Beweis, dass sie tatsächlich der Mensch war, für den sie sich hielt.
Weshalb sollte es ihr eigentlich etwas ausmachen, wenn Kadir eine Geliebte hatte und Zahra diese Frau war? Vernünftig betrachtet, konnte das Natalia egal sein. Aber Gefühle gehorchten nicht dem
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