Ein König für San Rinaldi
Verstand. Vielleicht war sie doch eine eifersüchtige Ehefrau, die keine andere im Leben ihres Mannes duldete.
Andererseits spielten Gefühle in dieser Ehe keine Rolle. Natalia wollte das auch gar nicht. Dass sie sich körperlich zu Kadir hingezogen fühlte, bedeutete noch lange nicht, dass sie mehr für ihn empfand. Es war besser, derartige überflüssige Gedanken ganz zu vergessen. Stattdessen wollte Natalia sich auf ihre Rolle als Ehefrau des Kronprinzen von San Rinaldi konzentrieren.
Heute Vormittag sollte sie die neue Mädchenhochschule von Hadiya besichtigen, die von Kadirs Mutter gegründet worden war. Die Schule markierte einen Schritt auf dem Weg in die Moderne. Denn junge Frauen studierten dort, unter anderem Wirtschaftswissenschaften.
Die Tür zu ihren Räumen öffnete sich. Als hätte Natalia sie kraft ihrer Gedanken herbeigerufen, kam Zahra herein. Wegen der auffallend weiblichen Kurven und des blond gefärbten Haars wirkte sie auf andere Frauen eher kalt und berechnend. Männer dagegen, das wussten sie beide, fanden diesen Typ meistens sehr feminin und begehrenswert.
„Ich habe Basima gesagt, dass ich Sie heute Vormittag bei der Besichtigung begleite“, erklärte Zahra. „Ich möchte mit Ihnen einige Dinge besprechen, die für Ihre Ehe mit Kadir nützlich sein werden.“
Während sie Kadirs Geliebte eingehend musterte, dachte Natalia an die Entscheidung, die sie vorhin getroffen hatte.
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, erwiderte sie gelassen. „Die Erfahrungen der Geliebten helfen der Ehefrau kaum weiter. Schließlich verbringt eine Ehefrau mit ihrem Mann wesentlich mehr als nur einige Stunden im Bett, in denen sie seine Wünsche erfüllt.“
An dem harten Aufblitzen in Zahras dunklen Augen erkannte Natalia, dass sie den wunden Punkt getroffen hatte.
„Kadir hat recht“, meinte Zahra mit einem trügerisch sanften Lächeln. „Eine Frau wie Sie hätte er niemals geheiratet, wäre er hiergeblieben. Aber natürlich wissen wir alle, dass er Sie nur aus einem einzigen Grund zur Frau genommen hat. Und das hat mit der Dummheit zu tun, die seine Mutter begangen hat. Es war eindeutig falsch, dass sie den Verrat an ihrem Ehemann und somit Kadirs Herkunft viel zu lange für sich behalten hat. Dadurch blieb ihm keine Zeit, sich eine geeignete Ehefrau auszusuchen.“
Davon ließ Natalia sich nicht erschüttern. „Es überrascht mich nicht, dass Prinzessin Amira ihr Geheimnis sorgsam hütete. Offenbar konnte sie auf kein Verständnis hoffen. Wenn Sie allerdings bei einer geeigneten Ehefrau an sich selbst denken …“
„Ich bin viel zu bescheiden, um von einer derartigen Ehre auch nur zu träumen“, fiel Zahra ihr ins Wort, klang dabei jedoch alles andere als bescheiden. „Mir genügt vollkommen, dass Kadir mich unvergleichlich liebevoll begehrt.“
Nicht zu vergessen die teuren Geschenke und die öffentliche Anerkennung als Geliebte eines wichtigen Mannes, dachte Natalia ironisch.
„Kadirs Glück ist mir viel wichtiger als mein eigenes“, behauptete Zahra wenig überzeugend. „Darum unterdrücke ich meine Gefühle und werde mich bemühen, Ihnen dabei zu helfen, die Ehefrau zu werden, die er braucht.“
Zahra war klug, das gestand Natalia ihr zu. Sie suchte Streit und verstand es, einen vom Zaun zu brechen. Mit wohlüberlegten Worten hatte sie Natalia gezielt herausgefordert.
„Hören Sie“, sagte Natalia schroff. „Verschwenden wir doch keine Zeit mit Geplänkel. Warum sprechen wir nicht offen miteinander? Kadir hat sich entschlossen, das Angebot des Königs von San Rinaldi anzunehmen. Es geht also um mein Land, nicht um Kadirs und ganz sicher nicht um Ihr Land. Er soll König werden, und das kann er nur wegen seiner Mutter, die Sie offenbar verachten.“
Voller Genugtuung sah sie, wie sehr ihre Worte Zahra ärgerten.
„König Giorgio hat mich für Kadir ausgesucht“, fuhr Natalia fort. „Und das nicht etwa, weil ich die Bräuche und Sitten von Hadiya kenne, sondern weil ich das Volk von San Rinaldi, seine Gefühle und Gedanken verstehe. Ich weiß, was für die Menschen auf unserer Insel wichtig ist und was sie von einem neuen König erwarten. Nur darum hat unser König mich gebeten, meine Freiheit aufzugeben und den künftigen König von San Rinaldi zu heiraten. Aus Liebe zu San Rinaldi und aus Pflichtgefühl habe ich es getan. Und um die Zukunft meines Landes mitzugestalten. Kadirs Ehefrau muss in erster Linie eines können: Sie muss ihm die Bedürfnisse und Wünsche
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