Ein König für San Rinaldi
dass sowohl sie und Kadir als auch später ihre Kinder Kriege vermieden und sich für den Weltfrieden einsetzten. Seltsam, dachte Natalia, warum reizt mich eigentlich die Idee, dass Kadir in den Kampf zieht?
Auf diese Frage fand sie schnell eine Antwort: Frauen fühlten sich einfach oft zu starken Männern hingezogen, die sie und ihre Kinder beschützen konnten. Natalia zwang sich, den Blick von ihrem Bräutigam zu lösen und geradeaus zu sehen.
„… und hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau.“
Betroffen wurde ihr bewusst, wie sie beim Ave Maria des Chors in der antiken Kathedrale und bei Kadirs Handkuss blinzelte. Auf keinen Fall wollte Natalia vor Rührung weinen.
Es war vollbracht. Jetzt war sie seine rechtmäßige Ehefrau. Von nun an standen ihre Pflichten ihrem Land und dessen Zukunft gegenüber an allererster Stelle.
Natalia war nun seine Frau. Die Frau, die Kadir verachtete. Und dieselbe Frau, nach der er sich in den endlos langen dunklen Stunden der Nacht sehnte.
Wie kann das sein, fragte Kadir sich grimmig. Vielleicht hatte er ein oder zwei Mal an Natalia Carini gedacht, als er nachts aufgewacht war. Vielen anderen Männern ging es sicher ähnlich. Sie brauchten den Körper einer Frau. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass es ihm dabei wirklich um Natalia Carini gegangen war.
Dass mir Kronprinzessin Natalia etwas bedeutet, verbesserte er sich. Sie war seine Ehefrau und Partnerin bei dem Unterfangen, auf das er sich eingelassen hatte. Bei der Verpflichtung, die er möglicherweise einging, um nicht weiter über die schwierige Beziehung zu seinem Vater nachdenken zu müssen.
Irgendwann war ihm klar geworden, dass der Mann, den er für seinen Vater hielt, ihn nicht liebte. Der Scheich hatte ihn nie so gelobt oder herzlich in die Arme genommen wie Ahmed. Wie alt war Kadir damals gewesen? Acht, sechs oder sogar noch jünger?
Das Alter war nicht sonderlich wichtig. Entscheidend dagegen war, dass er die Zurückweisung erkannt und es ihm sehr wehgetan hatte. Er war noch zu jung gewesen, um mit dem Schmerz umzugehen. Kadir hatte nicht begriffen, weshalb sein Vater sich distanziert und erbarmungslos von ihm abgewandt hatte. Seinem jüngeren Sohn hatte er immer liebevolle Blicke geschenkt und sich ihm gegenüber väterlich nachsichtig gezeigt.
Noch heute erinnerte Kadir sich deutlich an seine Mutter, wie sie damals besorgt und aufmerksam im Schatten des Innenhofs gestanden hatte. Sie hatte ihn beim Spielen mit seinem Bruder beobachtet. Sobald sein Vater aufgetaucht war, hatte seine Mutter eine Bedienstete gebeten, Kadir wegzuführen. Dann waren seine Eltern mit Ahmed allein gewesen.
Wann immer Kadir sich gesträubt hatte, seine Einwände waren stets mit einer vernünftigen Erklärung weggewischt worden. Er wäre der Ältere und müsse für die Schule lernen, sein Bruder hingegen wäre dafür noch zu klein. Kadir hatte sich verzweifelt bemüht, die Aufmerksamkeit und Zuneigung seines Vaters zu gewinnen. Aber je mehr er sich angestrengt hatte, desto energischer hatte seine Mutter eingegriffen. Sie hatte ihn von seinem Vater ferngehalten.
„Ich habe das nur für dich getan“, hatte sie gesagt, als sie ihm endlich die Zusammenhänge gestand. „Ich hatte Angst, dass er dich ansieht und genauso deutlich wie ich die Wahrheit erkennt. Du bist nicht sein Sohn, Kadir. Ich wollte dich nur schützen.“
Alles Lügen. Sie wollte nicht ihn, sondern sich selbst schützen, um sich die unweigerliche Demütigung zu ersparen. Eines hatte Kadir inzwischen gelernt. So waren alle Frauen. Sie logen, um einen Vorteil zu gewinnen. Und sie machten alles noch schlimmer, indem sie ihr Verhalten als selbstlos darstellten, wenn sich die Tatsachen nicht länger leugnen ließen.
Ein Mann durfte deshalb nicht zulassen, dass Frauen ihn beeinflussten oder gar manipulierten. Niemals sollte Natalia ihm in die Quere kommen und seine Position als König von San Rinaldi schwächen. Heute begriff er, warum sein Vater immer wieder seine Haltung zu Hadiya und seine Fähigkeit als Herrscher infrage gestellt hatte. Ja, heute verstand Kadir es.
Obwohl seine Mutter es ihm geschworen hatte, war er nicht überzeugt. Der Scheich soll nie auf den Gedanken gekommen sein, dass Kadir in Wahrheit nicht sein Sohn war. Vielleicht hatte er keine Beweise gefunden, aber vermutet hatte er es bestimmt. Er muss geahnt haben, dass er nicht der leibliche Vater war.
Kadir hatte am eigenen Leib erfahren, was geschieht, wenn ein Mann die Vaterschaft für
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