Ein König für San Rinaldi
seines neuen Volkes klarmachen.“
Nun hatte Zahra etwas, worüber sie nachdenken konnte. Niemand, weder Zahra noch Kadir oder sonst jemand, sollte Natalia für gehorsam, unterwürfig und dumm halten. Sie ließ sich nicht vom Glanz eines klangvollen Titels blenden. Erst recht würde sie sich von keiner Geliebten ihres Mannes einschüchtern lassen. Denn Natalia war intelligent und hatte Rückgrat. Sie verfolgte eigene Ziele als zukünftige Königin. Dieser Ziele wegen hatte sie Kadir geheiratet, aus keinem anderen Grund.
Zahra winkte ab. „Ich brauche Sie bestimmt nicht daran zu erinnern, dass Kadir sich seine Ehefrau nicht selbst ausgesucht hat. Diese Verbindung war nicht sein Wunsch. Oder glauben Sie wirklich, ich wüsste nicht, warum er letzte Nacht woanders geschlafen hat?“
Einen Augenblick lang verschlug es Natalia glatt die Sprache. Diese Frau war unglaublich unverschämt und dreist.
„Sie reden sehr kühl über Ihre arrangierte Ehe“, fuhr Zahra fort, „aber mich führen Sie nicht hinters Licht. Ich blicke tief in Ihr Herz und weiß, was Sie sich insgeheim wünschen. Sie wollen Kadir.“
Diese Worte trafen Natalia wie Schläge, obwohl es nicht stimmte. Es konnte nicht stimmen. Das würde sie gar nicht zulassen. Kadir bedeutete ihr nichts.
Wenn sie daran dachte, was in Venedig geschehen war … Bedeutete die flammende Leidenschaft, die sie dort empfunden hatte, wirklich nichts? Es hat nichts zu bedeuten, sagte Natalia sich. Vor allem hieß es nicht, dass sie Kadir für sich haben wollte. In Venedig war es ihr nur um Sex gegangen.
Nein, so konnte sie es auch nicht sehen. Wäre Sex für sie wirklich so wichtig, hätte sie nicht so lange darauf verzichtet.
Das war es! Sie hatte einfach zu lange allein geschlafen. Darum wäre sie im richtigen Moment dem Charme eines beliebigen Mannes verfallen, nicht ausgerechnet Kadirs.
Lügnerin, flüsterte ihr eine kleine innere Stimme zu. In dem Moment, in dem du ihn gesehen hast, fühltest du dich …
Gar nichts Besonderes ist da geschehen, dachte sie zornig. Überhaupt nichts. Und sie empfand auch jetzt nichts für ihn. Zahra sollte es nicht gelingen, ihr das Gegenteil einzureden.
„Dachten Sie tatsächlich, ich würde nichts erfahren?“, fragte Zahra provozierend. „Kadir und ich haben sogar zusammen darüber gelacht. Natürlich muss er seine Pflicht erfüllen, aber nur mit mir erlebt er wahre Leidenschaft. Letztlich werde ich an seiner Seite sitzen, wenn er eines Tages über San Rinaldi und Hadiya herrscht. Mir ist es bestimmt, bei ihm zu sein, Ihnen nicht. Kadir gehört mir, und ich lasse ihn niemals gehen. Ich werde nie zulassen, dass sich jemand zwischen uns drängt. Das sollten Sie nicht vergessen. Wir sind füreinander bestimmt“, betonte sie. „Nichts kann daran etwas ändern.“
Der Streit hatte eine völlig neue und verwirrende Richtung genommen. Vor allem der Zorn und die Wildheit in Zahras Stimme erschreckten Natalia.
Zahras unumstößliche innere Überzeugung, die fast schon realitätsfern war, erinnerte sie an Stalker, über die häufig in den Medien berichtet wurde. Vielleicht lag Natalia auch falsch und zog voreilige Schlüsse. Möglicherweise waren orientalische Frauen einfach so leidenschaftlich und redeten hitzig. Jedenfalls unterschied sich Zahras Art grundsätzlich von Natalias wesentlich pragmatischerer Lebenseinstellung.
Unabhängig davon musste Zahra doch wissen, dass Kadir niemals die Herrschaft über Hadiya antreten würde. Das war ausgeschlossen, nachdem er verzichtet hatte. Wahrscheinlich ließen sich die Leute gewöhnlich von Zahra beeindrucken und einschüchtern. Nun, sie und letztlich auch Kadir werden herausfinden, dass ich mich zu nichts drängen lasse, dachte Natalia. Davon bin ich weit entfernt.
„Sie müssen schon sehr naiv sein“, fuhr Zahra fort, „wenn Sie glauben, Kadir oder mich täuschen zu können. Sie wollen ihn lieben.“
Damit änderte sie wieder die Taktik und brachte Natalia beinahe durcheinander.
„Es war zu erwarten, dass Sie sich in ihn verlieben würden“, behauptete Zahra spöttisch. „Ich habe es ihm sogar vorhergesagt. Aber bei einem Mann wie Kadir war das wohl unvermeidlich, nicht wahr? Er will Ihre Liebe aber nicht. Er will gar nichts von Ihnen. Warum sollte er auch, wenn er mich hat und auch immer haben wird? Ich bin diejenige, die er liebt, und er wird mich nicht gehen lassen. Niemals!“
Sie trat einen Schritt näher und packte Natalia so plötzlich am Arm, dass sie nicht mehr
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