Ein König für San Rinaldi
Augen nicht die Spur eines Triumphgefühls.
10. KAPITEL
Während Kadir sie stumm beobachtete, erkannte er, dass Natalia gut mit Menschen umging. Gerade bedankte sie sich bei einigen Schulkindern, die sich zur Begrüßung auf dem Vorplatz des Palastes versammelt hatten und die Rückkehr der Frischvermählten feierten. Natalia ging wie selbstverständlich mit den Kindern um und nahm ihnen dadurch jede Scheu.
Auch in Hadiya hatte er mitbekommen, wie geschickt sie mit Frauen in Kontakt gekommen war und sich verständlich gemacht hatte, obwohl sie nicht dieselbe Sprache beherrschten. Irgendwie war es ihr gelungen, diese Frauen dazu zu bringen, mit ihr zu lachen und auf sie einzugehen. Genau wie jetzt bei diesen Kindern.
Seine Mutter hatte die gleiche Gabe besessen. Seine Mutter …
Kadir verbannte diesen Gedanken sofort, als hätte er sich daran verbrannt. Natalia hatte kein Recht gehabt, so mit ihm über seine Mutter zu sprechen. Über seine Familie wusste sie nichts, erst recht nicht über seine Kindheit.
Seine Ehefrau war fest davon überzeugt, er hätte dem Scheich gefallen wollen. Unsinn. Er hatte sich nie um den Mann bemüht. Wozu hätte das gut sein sollen? Schließlich gab er seine Ansprüche auf und legte die Zukunft von Hadiya in die Hände seines Bruders.
In den letzten beiden Nächten in Hadiya hatte Kadir nicht mehr mit Natalia geschlafen. Er wusste nicht, ob er sie damit bestrafen oder sich beweisen wollte, dass er sein Verlangen nach ihr beherrschen konnte.
„Mein Sohn, du hast mir gefehlt, und es ist schön, dass du wieder hier bist.“ König Giorgio begrüßte Kadir während des Empfangs herzlich.
Bildete er es sich nur ein, oder war der Händedruck seines Vaters schwächer als früher? Nachdenklich musterte Kadir den alten König. Außer den Blutsbanden gab es zwischen ihnen keine Verbindung. Sie hatten keine gemeinsame Vergangenheit. Trotzdem rührten ihn die Worte seines Vaters.
„Wir haben viele Jahre verloren und müssen eine Menge nachholen“, sagte der König ernst. „Möge Gott mir genug Zeit schenken. Am meisten wünsche ich mir jetzt, deinen Sohn auf dem Arm zu halten – die nächste Generation. Ich möchte den zukünftigen König von San Rinaldi sehen, Kadir, unseren Nachfolger, der von Königen abstammt und von den Menschen dieser Insel.“
Sein Vater blickte zu Natalia, die sich immer noch mit den Kindern unterhielt.
„Könige sind bei der Wahl ihrer Ehepartner nicht immer frei. Mit Natalia hast du in jedem Fall eine Frau bekommen, die perfekt in ihre Rolle passt. Wenn ich sie betrachte, sehe ich meine liebe erste Frau Sophia und auch deine Mutter vor mir. Natalia vereint die besten Eigenschaften von beiden in sich.“
Eines der kleineren Kinder, die sich um Natalia drängten, wurde von hinten gestoßen und verlor das Gleichgewicht. Geistesgegenwärtig griff sie ein, hob den Jungen hoch und drückte ihn an sich, während sie einige Worte mit seiner Mutter wechselte. Anstatt zu weinen, lächelte der Kleine schüchtern. Sogar von Weitem sah Kadir, wie wohl sich das Kind bei Natalia fühlte. Sie hatte die Situation gerettet.
Schmerz erfüllte ihn, doch das hatte nichts mit seiner Kronprinzessin zu tun. Lange unterdrückte Gefühle brachen sich Bahn, Schmerz und Trauer, Verlustangst und Einsamkeit, Feindseligkeit und Sehnsucht.
Er brauchte nicht lange darüber zu grübeln, was mit ihm geschah. Sein Schutzschild war gebrochen. Natalia hatte eine Wandlung in ihm ausgelöst. Denn sie führte ihm sein Verhalten vor Augen. Das gefiel Kadir ganz und gar nicht. Er wollte und brauchte das nicht. Deshalb würde er einen Weg finden, diese Entwicklung aufzuhalten.
„Also“, fuhr König Giorgio fort, „während eures Aufenthalts in Hadiya haben sich meine Minister und Berater um die Formalitäten vor der Krönung gekümmert. Wir beide haben viel zu besprechen.“
Natalia sah zwar bewusst nicht zu Kadir. Trotzdem wusste sie genau, wann er zusammen mit seinem Vater in den Palast ging. Geradezu körperlich spürte sie die Leere, die er hinterließ. Genau wie sie nachts die Leere in ihrem Herzen fühlte, wenn Kadir nicht bei ihr schlief.
Sie wusste nicht, ob er in Hadiya das Bett mit Zahra geteilt hatte. Aber allein der Gedanke daran verursachte ihr Übelkeit.
So war das alles nicht geplant. Was mit ihr passierte, konnte sie kaum begreifen. Sie und Kadir sollten eine auf Vernunft, gegenseitigem Respekt und gemeinsamen Zielen basierende Ehe führen. In dieser Beziehung ging es nur um
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