Ein König für San Rinaldi
zuwandte und den Umhang von den Schultern gleiten ließ.
„Ich habe bloß meine Pflicht erfüllt“, entgegnete sie steif und schlüpfte unter die Decke.
Er presste die Lippen aufeinander und legte die Papiere aus der Hand. „Ich rate dir dringend, nicht die Märtyrerin zu spielen. Das steht dir nicht. Du bist eine intelligente Frau, die sich in der Welt auskennt und bedeutend ist für die Zukunft von San Rinaldi.“
Erstaunt sah sie ihn an. Sie konnte kaum glauben, dass er ihr Verhalten lobte.
Kadir war ein stolzer Mann. Darum fiel es ihm schwer einzugestehen, dass er Natalia völlig falsch eingeschätzt hatte. Andererseits war er immer fair und aufrichtig. An diesem Abend hatte er gesehen, wie sie auf dem Empfang mit den Gästen umgegangen war.
Ihn hatte gleichermaßen überrascht wie beeindruckt, dass sie als Paar bei solchen Auftritten wunderbar harmonierten. Das war Natalia zu verdanken. Mit etlichen der männlichen Gäste hatte sie sich eingehend unter vier Augen unterhalten. Auf jede Frage hatte sie zuversichtlich und professionell geantwortet. Weder war sie auf einen Flirtversuch eingegangen noch hatte Natalia sich in anderer Form aufreizend benommen.
Keinen Moment hatte sie ihre sinnliche Ausstrahlung oder ihre Schönheit eingesetzt, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu erregen. Ihre Gesprächspartner fesselte sie durch ihre Intelligenz und gewann ihren Respekt durch ihre Gelassenheit. Natalia legte eine wahrhaft königliche Zurückhaltung an den Tag, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigte.
Es bestand kein Zweifel daran, dass alle Männer von ihr bezaubert wurden. Sie beneideten Kadir ganz offen um seine Ehefrau – worüber er sich nicht im Mindesten wunderte. Allerdings erstaunte ihn, wie mühelos sie sich den nötigen Respekt in ihrer Rolle verschaffte. Selbst wenn Natalia den Gästen im Saal nicht vorgestellt worden wäre, hätte jeder gemerkt, wer ihm gegenüberstand: San Rinaldis zukünftige Königin.
Sie strahlte gleichzeitig Wärme und Würde aus. Außerdem gelang es ihr wie selten einem Menschen, die Erwartungen anderer zu erfüllen, ohne sich zu verstellen.
Kadir betrachtete sie, wie sie nun neben ihm lag. Eine tiefe Sehnsucht stieg in ihm auf. Sie waren verheiratet und hatten eine gemeinsame Zukunft vor sich. Er begehrte sie, und er konnte ihr sehr schöne sinnliche Stunden schenken. Vielleicht sollte er sich lieber darauf als auf die Vergangenheit konzentrieren …
Nachdem sie die Nachttischlampe ausgeknipst hatte, zuckte Natalia leicht zusammen, als auch Kadir seine Nachttischlampe ausschaltete.
„Lass dich nicht vom Lesen abhalten“, sagte sie leise.
„Die Papiere können warten, weil ich jetzt wesentlich angenehmere Pflichten erfüllen muss“, erwiderte er heiser und tastete vorsichtig nach ihr.
Schuldbewusst schloss Natalia die Augen. Welche berühmte Frau hatte in der Geschichte aus Verzweiflung dem Ehemann verschwiegen, dass sie schwanger war? Katharina von Medici? Jedenfalls hatte sie es getan, weil sie mit ihm allein sein und ihn vom Bett seiner Geliebten fernhalten wollte. Natalia hielt den Atem an. Kadir brauchte sie nur flüchtig zu streifen, und schon pulsierte ein sehnsüchtiges Verlangen durch ihren Körper.
„Vielleicht sollte ich dem Schicksal dafür dankbar sein“, flüsterte er, „dass es mir eine Frau geschickt hat, deren Leidenschaft so leicht zu entfachen ist.“
Mein Problem ist nur, dass du mehr als das in mir wachrufst, dachte Natalia. Sie erschauerte lustvoll, während er sie sanft streichelte.
„Natalia“, hauchte er.
Sie fühlte seinen warmen Atem und begriff betroffen, dass Kadir sie küssen wollte. Bisher hatten sie sich nur selten geküsst. Zärtliche, verlangende und hungrige Küsse tauschte ein Liebespaar, und sie waren keins, konnten nie eines sein. Trotzdem seufzte sie und öffnete unter dem Druck von Kadirs Lippen den Mund.
Ihr fiel es leicht, die Arme um ihn zu legen und so zu tun, als wäre dies für sie beide ein Neuanfang. Als hätten sie die Chance, noch einmal von vorn zu beginnen und es besser zu machen. Sich das nur vorzustellen war falsch. Und dennoch konnte Natalia nicht anders. Sie schmiegte sich an ihn, während er sie küsste, zuerst vorsichtig und zärtlich. Dann wurde das Spiel seiner Lippen so leidenschaftlich und besitzergreifend, dass sie glaubte, ihr Herz müsse zerspringen.
„Natalia, meine Frau“, raunte er dicht an ihrem Mund, hielt sie fest und strich ihr mit den Fingern durchs Haar. „Meine Frau,
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