Ein koestliches Spiel
Augusta rümpfte die Nase, sichtlich unbeeindruckt, und bemerkte zu Prudence: „Nun, ich muss sagen, Straßenräuber können ausgesprochen Angst einflößend sein, aber ich habe noch nie viel von der Taktik gehalten, in Ohnmachtsanfällen Zuflucht zu suchen, es sei denn, um unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen - dann ist es ausgesprochen nützlich. Aber ich hatte viele Begegnungen mit Schurken und Bandidos in Argentinien und bin deshalb der festen Überzeugung, dass einen kühlen Kopf zu bewahren und Stärke zu zeigen das ist, was in einem solchen Notfall ratsam ist.“
„Ja, Madam“, murmelte Prudence und schwor sich insgeheim, Lord Carradice zu erwürgen, sobald das unauffällig zu bewerkstelligen wäre.
Lady Augustas Stimme wurde weich. „Sie brauchen doch nicht so betrübt auszusehen, mein Kind. Ihnen kann man keinen Vorwurf machen - in diesem Land wird vornehmen jungen Damen nur beigebracht, schwach zu sein und dekorativ auszusehen - so ein Unsinn! Ich selbst trage stets eine Waffe bei mir, wenn ich auf Reisen bin. Das sollten Sie auch einmal in Erwägung ziehen!“
„Ja, Lady Augusta, das werde ich“, antwortete Prudence mit einem finsteren Blick zu Lord Carradice, der gütig lächelte wie ein älterer Onkel.
Lady Augusta strahlte. „Gutes Mädchen. Das ist der rechte Geist. Ich werde Ihnen sogar selbst beibringen, wie man eine Waffe benutzt, wenn Sie wünschen. Ich besitze eine kleine, aber trotzdem tödliche Pistole, die eigens für mich angefertigt wurde.“
„Danke, Lady Augusta“, erwiderte Prudence höflich. „Das fände ich sehr freundlich. Ich kann mir gut vorstellen, wie nützlich eine kleine, aber tödliche Pistole sein kann - besonders jetzt gerade.“
Lord Carradice gab einen erstickten Laut von sich, den er rasch in ein Hüsteln zu verwandeln suchte.
Die Augen seiner Tante wurden schmal. Misstrauisch schaute sie von ihrem Neffen zu der höflich und steif neben ihm sitzenden jungen Dame. „Oho! So ist das also? Gideon, du bist immer noch so ein übler Schlingel, wie du es früher warst. Machen Sie sich keine Sorgen, Liebes. Ich nehme an, der Schuft hat Sie grässlich in Misskredit gebracht - nein, Leugnen hat keinen Sinn, Gideon. Ich kann es an den Teufelchen in deinen dunklen Augen erkennen. Mich konntest du noch nie belügen!“ Sie wandte sich wieder an Prudence. „Es ist vermutlich nicht falsch, davon auszugehen, dass diese erbauliche kleine Geschichte, die er uns eben aufgetischt hat, vollkommener Unsinn war.“
Gideon schlug sich eine Hand auf die Brust. „Tante, du triffst mich bis ins Herz.“
Lady Augusta rümpfte die Nase. „Das bestätigt es. Miss Merridew, wir werden uns später unterhalten, und dann erzählen Sie mir alles - ja? Soweit ich es mir denken kann, ist es nicht für die Allgemeinheit bestimmt, aber glauben Sie mir, ich bin die Seele der Verschwiegenheit.“ Wieder entschlüpfte ihrem Neffen ein erstickter Laut. „Wenn es um Familie geht, meine ich“, fügte sie würdevoll hinzu.
Familie? Prudence hob abrupt den Kopf. Sie sah von Lord Carradice zu Lady Augusta. Was hatte er ihr gesagt? Dass sie verlobt waren? War das der Grund, weshalb Lady Augusta bereit war, sich fünf fremde junge Mädchen ohne Vorwarnung aufhalsen zu lassen?
„Familie?“, fragte sie. Sie musste die Sache sofort klarstellen. Sie konnte die Großzügigkeit der Dame nicht unter falschen Vorzeichen annehmen und so tun, als sei sie mit Lord Carradice verlobt - nicht seiner Tante gegenüber, die ihn deutlich erkennbar anbetete. Hitze stieg ihr in die Wangen. „Lady Augusta, ich denke, Sie sollten wissen ...“
„Tante Gussie spielt damit natürlich auf Edwards bislang heimliche Verlobung mit Ihrer Schwester an“, unterbrach Lord Carradice sie mit sanfter Stimme.
Prudence blinzelte.
„Tante Gussie ist auch Edwards Tante. Sie ist die Schwester unserer Mütter.“
„Oh.“ Prudence nickte. „Selbstverständlich.“ Sie wollte im Boden versinken. Glücklicherweise öffnete sich in dem Moment die Tür, und der Butler Shoebridge kam herein, gefolgt von mehreren Lakaien, die ein gewaltiges Teetablett trugen und weitere Tabletts voll mit Kuchen und anderen Köstlichkeiten. Der Duft frisch gebackener Scones füllte den Raum und sorgte für eine Ablenkung. Lady Augusta schenkte Tee ein, bot Scones mit Marmelade an und teilte dazu mit freigebiger Hand Sahne aus.
Prudence aß und trank schweigend. Natürlich bestand keine Notwendigkeit, vor seiner Tante so zu tun, als gäbe es eine
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