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Ein koestliches Spiel

Titel: Ein koestliches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gracie
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augenblicklich aus ihrem Kopf verbannen.
    Sie öffnete verschiedene Türen und suchte nach dem Raum, der ihr zugedacht war, aber ihre Gedanken kehrten immer nur zu dieser einen Frage zurück - so wie die Zunge immer wieder eine raue Stelle am Zahn sucht. Würde das Lord Carradices Meinung über sie ändern? Und wenn ja, wie?
    Würde er sie immer noch haben wollen, nachdem er die schreckliche Wahrheit wusste? Das würde sie bald genug herausfinden. Hatte er sie jemals wirklich gewollt? Sie war wiederholt gewarnt worden, dass er unstet sei, dass er die Jagd liebe - und sie hatte ihm eine geliefert.
    Selbstzweifel stürmten auf sie ein. Die Warnungen anderer Leute gingen ihr durch den Sinn. Bloß weil er ernst und aufrichtig klang, hieß das noch lange nicht, dass er es auch war. Und bloß weil sie ihm glauben wollte, hieß das nicht, dass man ihm glauben durfte. Mädchen wurden täglich ruiniert, bloß weil sie glaubten, was ein Mann ihnen sagte. Eine junge Frau wäre schlecht beraten, auf das Wort eines berüchtigten Schürzenjägers zu vertrauen, nur weil sie es tief innerlich wollte ... oder? Ohne Zweifel galt: Je angenehmer das, was er sagte, desto gefährlicher war es, ihm zu glauben.
    Es gab nicht den geringsten Zweifel.
    Die einzige Verwendung, die ein Mann für jemanden wie dich noch haben könnte, wäre als Hure.
    Halt! Sie musste aufhören, solch furchtbare Gedanken zu denken! Sie legte sich die Hände über die Ohren, als ließen sie sich so ausschließen.
    Lord Carradice würde niemals so von ihr denken, sagte sie sich entschlossen. Er war kein verbitterter, halb wahnsinniger alter Mann. Er war mitfühlender, verständnisvoller. Er würde nicht versuchen, aus ihrem Geheimnis einen Vorteil zu ziehen. Da war sich Prudence sicher.
    Sie entdeckte in dem Zimmer vor sich ihr Gepäck am Fußende des Bettes, trat ein und schloss leise die Tür hinter sich.
    Mit plötzlich weichen Knien ließ Prudence sich auf das Bett sinken. Lord Carradice hatte einmal gesagt, dass sie zu unschuldig sei für den Umgang mit Frauen wie Theresa Crowther. Dabei war Mrs. Crowther einmal seine Mätresse gewesen. Er hatte nicht respektvoll von ihr gesprochen.
    Sie dachte daran, wie schwer es ihm ohnehin schon fiel, sich ihr gegenüber wenigstens mit dem Anschein von Anstand zu benehmen. Jetzt, da er wusste, dass sie keine tugendhafte junge Frau war ... würde er da immer noch meinen, dass sie nicht zu Mrs. Crowther und ihresgleichen gehörte?
    Natürlich würde er das, entschied sie. Er war freundlich. Er war kein Heuchler, wie so viele andere in der Gesellschaft. Es war gut, dass er jetzt ihr Geheimnis kannte, wusste, welches endgültige Band sie an Phillip kettete.
    Sie zog ihre kurze Spenzerjacke aus und hängte sie in den Schrank. Großvater hatte ein scheußliches Bild von dem Schicksal gezeichnet, das gefallene Frauen erwartete.
    Hätte sie das Baby nicht verloren, hätte sie diese Folgen aus erster Hand und am eigenen Leib erfahren. Großvater hätte sie verstoßen, auch wenn das einen Schandfleck für den Namen der Familie bedeutete. Er hatte den Tod ihres Babys ein Urteil des Himmels über sie genannt.
    Prudences Augen füllten sich langsam mit bitteren Tränen. Sie war gezwungen gewesen, schweigend und im Geheimen zu trauern. Hätte sie nicht gehorcht, hätten ihre Schwestern noch schlimmer für ihre Sünden leiden müssen. Ihr war Schweigen auferlegt worden, und so hatte sie niemandem etwas von dem Kind erzählt - nur Phillip, in zwei Briefen, die er beide nicht erhalten haben musste, denn er hatte mit keinem Wort darauf geantwortet. Viele Stunden hatte sie am Grabmal ihrer Eltern verbracht und allein geweint, bis ihre Augen geschwollen und trocken waren. Sie hatte mehrere kleine Kieselsteine zu den größeren Steinen des Grabmals hinzugefügt, für das Baby ...
    Während sie aus dem Krug auf dem Waschstand etwas Wasser in eine Schüssel goss, überlegte sie, was gewesen wäre, wenn Großvater sie wirklich verstoßen hätte und sie durch einen unwahrscheinlichen Zufall Lord Carradice getroffen hätte ... nein, die Idee war albern! Sie wäre in der Gosse verhungert, ganz gewiss. Oder vielleicht wäre sie zu Mrs. Otterbury gegangen, und dann hätte Phillip sie zu sich holen lassen.
    Nur dass Phillip sie nicht hatte holen lassen. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Warum eigentlich nicht? fragte sie sich zum hundertsten Mal.
    Mama hatte gesagt, man müsse seine Chance auf das Glück mit beiden Händen ergreifen. Prudence

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