Ein koestliches Spiel
sehen. Ihre kleine Schwester würde sehen, dass nicht alle Welt glaubte, der ägyptische Geschmack sei verderbt, heidnisch und böse. Prudence wurde bewusst, dass ihre Finger sich angestrengt um das Retikül krampften, und sie zwang sich, sie zu lockern.
Wenn sie es richtig machte, würde Grace nie wieder für einen unschuldigen Fehler geschlagen werden. Es hing alles davon ab, wie gut sie mit dem Duke zurechtkam. Und mit Großonkel Oswald.
Eine verschnörkelte Uhr auf goldenen Greifen tickte laut auf dem Kaminsims. Es war schon weit nach neun Uhr. Großonkel Oswald würde seinen Aufguss aus heißem Wasser und Apfelessig ausgetrunken haben und sich nun seinen Eiern zuwenden. Ihr blieben vielleicht noch zwanzig Minuten. Wenn Großonkel Oswald nicht früher als sonst dran war. Er war ein Mann mit regelmäßigen Angewohnheiten.
Prudence strich ihre Röcke zum hundertsten Male glatt. Sie hatte immer gedacht, es wäre aufregend, kühn und abenteuerlich zu handeln, statt sich immer nur zu bemühen, unsichtbar zu sein, um nicht unnötig Großvaters Aufmerksamkeit zu erregen. Aber je länger sie wartete, desto mulmiger wurde ihr.
Sie mahnte sich, Ruhe zu bewahren. Nichts Schreckliches konnte geschehen, solange Lily in der Nähe war. Außerdem blieb ihr keine andere Wahl.
Die Uhr tickte gnadenlos weiter. Die Sphinx starrte blicklos. Die Löwenköpfe fauchten in goldener Wut.
Wo war dieser verflixte Duke? Großonkel Oswald würde jede Minute hier sein!
„Was haben wir denn hier, Bartlett?“
Prudence zuckte zusammen. Auf der Türschwelle stand ein hochgewachsener, dunkler, ziemlich liederlich anzusehender Herr. Prudence blinzelte. Sie hatte noch nicht viele Dukes in ihrem Leben gesehen, aber dieser hier sah ganz gewiss nicht so aus, wie ein Duke aussehen sollte. Obwohl seine Kleidung von bester Qualität war, war sie zerknautscht und knittrig. Seinen Überrock trug er nonchalant aufgeknöpft. Sein Halstuch hing leicht schief und war nachlässig unter sehr zurückhaltenden Kragenspitzen geknotet. Und er schien sich nicht rasiert zu haben, denn sein Kinn war, obwohl attraktiv geformt, entschieden zu dunkel und stoppelig.
Sie hatte eigentlich erwartet, dass ein Duke - auch wenn er bekennender Einsiedler war - adretter gekleidet wäre. Nur königliche Dukes sahen so unordentlich aus. Aber vielleicht war das die Ursache seines Einsiedlerdaseins. Oder vielleicht hatte sie ihn aus dem Bett geholt. Aus irgendeinem Grund wurde sie bei diesem Gedanken rot.
Hätte sie nicht gewusst, wer er war, hätte es sie vielleicht mit Besorgnis erfüllt, mit so einem Mann alleine zu sein, denn er wirkte gefährlich. Und das Funkeln in seinen Augen, als er sie musterte, war gewiss nicht dazu geraten, ein Mädchen mit Vertrauen zu erfüllen, entschied Prudence, Duke hin oder her! Seine Augen waren dunkel und schmal und schienen irgendwie belustigt, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, weshalb.
Sie setzte sich ein wenig aufrechter auf dem harten Stuhl und drückte ihr Retikül an sich.
„Bartlett?“, wiederholte der Mann an den Butler gewandt, der vor der Tür stand. „Wer ist unser charmanter Besuch?“
Der Butler folgte ihm in den Raum. „Diese junge Person, Sir, traf unmäßig früh heute Morgen hier ein und verkündete, es sei ihr fester Wille, den Duke of Dinstable zu sprechen. Draußen wartet noch ein weiteres weibliches Wesen, das die junge Person begleitet hat.“
Prudence sprang empört auf. „Wie können Sie es wagen, von mir in diesem Ton zu sprechen. Ich bin keine wie auch immer geartete junge Person - ich bin eine Dame! Und ich bin nicht unmäßig früh am Morgen hergekommen, sondern zu einer vollkommen vernünftigen Stunde ...“
Die Brauen des hochgewachsenen Herrn wölbten sich skeptisch, und sie wurde rot und berichtigte sich würdevoll, als ihr einfiel, dass sie ihn wahrscheinlich aus dem Bett geholt hatte. Und dass sie angeblich eine gelangweilte und welterfahrene junge Dame war, für die es nichts Außergewöhnliches war, bei Herren vorzusprechen.
„Vielleicht ist es für manche Leute etwas zu früh, aber wenn Sie gehört haben, was ich zu sagen habe, Euer Gnaden, dann - da bin ich sicher - werden Sie es verstehen.“
„Oh, aber ...“, setzte der Butler an.
„Das wird alles sein, Bartlett“, erklärte der große Herr sanft.
Der Butler zögerte und schaute zweifelnd von Prudence zu dem Duke.
Prudence war am Ende ihrer Geduld. „Ihr Herr wird bei mir sicher sein“, verkündete sie nicht ohne
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