Ein Konkurrent zum Kuessen
auszuziehen.“
Eigentlich hätte sie sich denken können, dass ein selbstbewusster, eindrucksvoller Mann wie er ein Nein nicht akzeptieren würde. Vermutlich betrachtete er ihre Weigerung, mit ihm zu schlafen, sogar als Herausforderung.
„Nach dem Besuch bei deiner Schwester wird es schon spät sein, also übernachten wir besser in Daylesford“, hatte er vermeintlich fürsorglich gesagt. Doch Ruby hatte ihn durchschaut – und erschauerte seitdem immer wieder. Dabei wollte sie sich doch auf die nächste große Aufgabe konzentrieren: Sapphie die guten Nachrichten überbringen, bevor sie in der Zeitung davon las.
„Ist es hier?“
„Ja“, sagte sie. „Dort drüben kannst du parken.“
Jax fuhr die gewundene, von Pinien gesäumte Einfahrt entlang und hielt neben dem Haupteingang. Als er den Motor ausstellte, zog sich Ruby vor Nervosität der Magen zusammen.
„Bist du dir wirklich sicher, dass ich nicht mitkommen soll?“, fragte er.
Sicher war Ruby sich in keiner Hinsicht, besonders nicht in Bezug auf ihre Heirat mit dem Feind, von der sie ihrer Schwester nun beichten musste. Doch sie biss sich auf die Lippe und nickte. „Es wird einfacher sein, wenn ich allein mit ihr spreche.“ Sie konnte sich den Gesichtsausdruck von Saph bildlich vorstellen, wenn diese erfuhr, dass sie Jax Maroney geheiratet hatte. Als sie versuchte, ihren Gurt zu lösen, hielt Jax ihre zitternde Hand fest.
„Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich warte hier auf dich.“
Bisher hatte Ruby Jax immer nur kühl und beherrscht erlebt. Als er nun so verständnisvoll und mitfühlend klang, kamen ihr fast die Tränen. Bevor er ihr womöglich noch mehr von seiner unerwarteten, liebevollen Seite zeigte, öffnete sie schnell die Beifahrertür und stieg aus, etwas wackelig auf ihren Stilettos. Dann betrat sie eilig das Gebäude.
Ruby war dankbar gewesen, als Jax ihr angeboten hatte, sie zu Sapphie zu fahren. Doch nachdem er sich so fürsorglich gezeigt hatte, kamen ihr Zweifel. Mit einem mürrischen, unbequemen Kerl konnte sie umgehen – aber schaffte sie das auch mit einem sexy Mann, der unerwartete Tiefe zeigte?
Auf keinen Fall wollte sie für ihren neuen Ehemann etwas anderes als widerstrebendes Verlangen empfinden und am Ende noch einem unerreichbaren Mann wie Jax Maroney verfallen: einem Einzelgänger, der seine Gefühle unterdrückte und seine Vergangenheit ebenso scharf bewachte wie sein Herz.
Sie seufzte wehmütig und betrat das Foyer, wo sie sofort in eine friedliche Atmosphäre eintauchte. Zuerst hatte sie Bedenken gehabt, ob eine solche Einrichtung das Richtige für ihre aktive, ans Stadtleben gewöhnte Schwester war. Doch Rubys Zweifel waren schnell verflogen: Das Erholungszentrum Tenang war eine angenehme Mischung aus Fünfsternehotel und Luxus-Wellness-Spa, das sogar auf gestresste Manager entspannend wirken musste. Überall Pastelltöne, sanfte Musik und leise Stimmen.
Seit fünf Wochen war Saph nun schon hier. Und bei jedem Gespräch hatte sie gestärkter und wieder mehr wie sie selbst gewirkt: selbstbewusst und bereit, jede Herausforderung zu bewältigen, die sich ihr stellte.
Von der freundlichen Empfangsdame erhielt Ruby ein Armband für Besucher. Sie ging in den Garten, wo ihre Schwester neben einer Heilquelle saß und las. Die schmiedeeiserne Bank mit den vielen Polstern und Kissen war Sapphies Lieblingsort. Sie stand unter einer Trauerweide und man konnte dort ganz für sich sein.
Ruby duckte sich unter den tief hängenden Zweigen hindurch und sah ihre elegante Schwester in einem bequemen Designeranzug auf der Bank liegen und in einer Autobiografie lesen.
„Na, du Bücherwurm?“
Sapphie ließ das Buch sinken. „Hallo, Rube“, sagte sie erfreut. „Wie schön, dich zu sehen!“ Sie machte Platz, sodass Ruby sich neben sie setzen und sie umarmen konnte.
„So schick hättest du dich für den Besuch aber nicht machen müssen“, stellte sie mit einem Blick auf das elegante Kleid fest.
Ruby musste ihrer Schwester die Wahrheit sagen. Das hatte Saph verdient. Also gab sie sich einen Ruck. „Ich muss dir etwas sagen, Saph. Bitte versprich mir, dass du mir zuhörst und mich ausreden lässt.“
„Das klingt aber nicht gut“, erwiderte Sapphie stirnrunzelnd.
„Doch, alles ist gut“, versicherte Ruby und lächelte strahlend.
„Ach ja? Und warum zerreißt du dann vor Nervosität fast den Saum dieses wunderschönen Kleids?“
Schnell verschränkte Ruby die Hände und legte sie sich in den Schoß.
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