Ein Kreuz in Sibirien
geflochtenen Strohdächern und fröhlichen Menschen, die auf der Promenade vor Schlössern und Parks spazierengingen. Welch eine Welt des Luxus im Urlaub, im Kurort. Gribow sparte auf solch einen Urlaub hin. Sobald er 2.000 Rubel ergaunert und vor allem übrig hatte, um sich dort zusätzliche Freuden leisten zu können, wollte er den Antrag stellen, in ein Sanatorium in Sotschi eingewiesen zu werden.
»Die Tschakowskaja ist verrückt geworden«, stöhnte Mustai. »Wie anders ist es zu erklären?«
Gribow saß bei seinem zweiten Frühstück, das aus vier gebratenen Eiern, Speck und einem dicken Pfannkuchen bestand, den ihm Nina gerade gebracht hatte. Dazu trank er grusinischen Kognak, ohne zu ahnen, daß er so üppig in der Kur niemals leben würde.
»Endlich hat sie einen klaren Blick!« sagte er und schmatzte an seinem Pfannkuchen. »Mustai Jemilianowitsch, man könnte glauben, du hast Mitleid mit den Verbrechern. Soll Nina dir ein paar Eierchen braten?«
»Ich muß telefonieren«, sagte Mirmuchsin und dachte: Erstick an deinem Fressen, du Dicksau. Platz auseinander! Wenn's nicht die anderen auch treffen würde, sollte man dich anzeigen. Anonym. Das reicht. Das KGB lebt von den anonymen Anzeigen …
»Kann ich dein Telefon benutzen?«
»Nimm es!« sagte Gribow. »Wen willst du anrufen?«
»Das Gewerkschaftshaus in Surgut.«
»Gibt es eine Gewerkschaft für Limonadenpanscher?« fragte Gribow wonnevoll.
»Es gibt eine Gewerkschaft für Schweinemast. Ich melde dich an, Kasimir Kornejewitsch.«
Gribow lachte dröhnend, rülpste laut und rieb sich die breiten Hände. »Ha, so ein zweites Frühstück, das belebt.«
Mirmuchsin mußte lange warten, bis er endlich – über die Vermittlung der Kommandantur – den Verwalter des Gewerkschaftshauses in Surgut am Apparat hatte. Der Genosse kannte Abukow, lobte ihn als stillen, guten Menschen, der nicht soff und keine Weiber aufs Zimmer mitnahm, seine Wohnung immer aufräumte und nie Streit mit anderen anfing. Ein angenehmer Genosse. Hat man selten. Die meisten an der Trasse sind rauhe Kerle, die immerzu um sich beißen wollen.
»Hinterlaß ihm eine Botschaft, Genosse Verwalter«, sagte Mirmuchsin. »Sag ihm, Mustai Jemilianowitsch hat angerufen. Sein Onkelchen ist krank, kränker, als man erwartet hatte. Eine Katastrophe! – Das wäre es, Genosse.«
»Keine gute Nachricht für Abukow«, sagte der Verwalter in Surgut voll Mitleid. »Was hat denn das Onkelchen?«
»Im Kopf hat er's! Reißt ganze Wände ein.«
»Ein armer Mensch. Vertrauen Sie mir; Mustai Jemilianowitsch. Ich werde es Abukow schonend beibringen. Wie ist's bei Ihnen?«
»Die Sonne scheint!« antwortete Mustai und legte auf. Nun weiß er es, dachte er. Aber was kann er tun? Nichts! In Sibirien ist ein Mensch wie die Tschakowskaja der alleinige Gott – nicht der aus seiner Bibel; der hat nur schöne kluge Worte … sie aber schickt tausend Mann ins Verderben. Da liegt die Macht, Abukow. Nicht im Gebet!
Zwei Stunden nach der Abfahrt der Transporter stiefelte die Tschakowskaja in das Dienstzimmer von Oberstleutnant Rassim. Er saß am Schreibtisch, füllte irgendwelche Formulare aus und hob erstaunt den Kopf. Zu einer Frage kam er gar nicht, denn sie sagte schon an der Tür:
»Rassul Sulejmanowitsch, ich brauche einen Jeep.«
Rassim starrte sie ungläubig an. Es war das erstemal, daß sie überhaupt ein Fahrzeug verlangte. »Einen Jeep?«
»Wir haben vierzehn Stück davon.«
»Ich weiß. Was wollen Sie damit? Können Sie überhaupt fahren?«
»Natürlich. Bekomme ich einen?«
»Wollen Sie um Ihr Hospital Karussell fahren?« Rassim lachte dumpf, es sollte ein Witz sein, aber er wußte sofort, daß es ein schlechter Spaß war. Die Tschakowskaja sah nicht danach aus, als ob sie jetzt Witze vertragen könnte. »Einen Ausflug wollen Sie machen? Unsere Gegend hat wenig Reize.«
»Große sogar. Ich will zur Trasse fahren!«
»Aha!« Rassim sprang auf. Sie ist wirklich irr geworden, dachte er betroffen. Zuerst streichelt sie die Gefangenen, dann jagt sie alle in die Hölle und will hinterherfahren, um zu genießen, wie sie krepieren! Nichts Schrecklicheres gibt es als maßlose Weiber. Aber sie soll sich austoben. Sie bekommt ihren verdammten Jeep.
»Gehen Sie zu Unterleutnant Sminow. Er teilt die Wagen ein. Wollen Sie allein zur Trasse fahren?«
»Ja.«
»Den Weg kennen Sie?«
»Nein.«
»Larissa Dawidowna, das ist keine Fahrt über den Newski-Prospekt, das ist ein Abenteuer für eine Frau. Kein
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