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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kein Schauspiel für Touristen! Haben Sie eine Ahnung, wie's dort aussieht? Gut, Sie sind Wladimir Alexejewitschs Freund. Und Zuspruch braucht er jetzt ganz gewiß. Wenn die Brücke abgerissen wird, sieht's böse aus. Eine Kommission wird kommen und die Fehlplanung untersuchen. Verantworten wird er sich müssen, vielleicht sogar vor einem Gericht. Millionen Rubel schwimmen dann den Fluß hinunter, wir alle stehen dann ohne Hosen da, bitter wird's werden. Aber wie können Sie da helfen? Dann hilft kein Trost mehr. Uns allen sitzt die Angst im Nacken.«
    Man gab Abukow schließlich doch einen Wagen, ein Spezialfahrzeug mit Raupenketten, für die Sümpfe konstruiert. Sogar schwimmen konnte man damit. Doch Jassenski warnte: »Wenn Sie damit hängenbleiben, Genosse, holt niemand Sie mehr heraus. Ist Ihnen das klar? Dann weichen Sie auf wie Papier und fallen auseinander. Bleiben Sie doch hier! Am Abend kommt Morosow ja zurück.«
    Abukow fuhr trotzdem. Allein, denn Mustai war der Ansicht, daß Allah ihm sein Leben nicht gegeben habe, damit er es so sinnlos wegwerfe. Zum Wagen aber begleitete er ihn und sagte, als Abukow hinter dem wuchtigen Lenkrad saß: »Wie ist das nun, Victor Juwanowitsch : Kann dir jetzt dein Gott helfen?«
    »Ich hoffe es, Mustai .«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann bin ich bei Gott.«
    »Wenn man es so sieht«, meinte Mirmuchsin und legte den Kopf schräg, »ist eure Religion wie ein Kreis – man kommt immer an der gleichen Stelle an. Was auch passiert, immer seid ihr fein raus!«
    »Der Glaube führt uns auf den rechten Weg«, versetzte Abukow und startete den Motor. »Wenn du zum Lager zurückkehrst, grüß Larissa von mir.«
    »Ich bleibe hier«, sagte Mirmuchsin und trat zur Seite, weil das Raupenfahrzeug langsam anrollte. »Ich warte auf dich.«
    Chefingenieur Morosow stand am Ende des Weges; dort, wo er im Hochwasser verschwand, in schmutzigen, gurgelnden Fluten. Vor ihm war einmal der Fluß gewesen, nur an den Brückenpfeilern und den Spezialstützen der geplanten Erdgasleitung erkannte man es noch. Soweit man blicken konnte, strömte das Wasser, das die Bäume des Waldes überflutet hatte und hoch an ihnen emporspritzte.
    Morosow saß in seinem Wagen, die Beine angezogen, und starrte auf seine Brücke. Mehr war nicht zu tun: Warten, daß der Regen nachließ und das Wasser ablief – oder zusehen, wie die Flut die Brücke wegriß, nachdem sie die Fundamente unterspült hatte. Er blickte stumm zum Fenster hinaus, als Abukow rasselnd an seine Seite fuhr, den Motor abstellte, mit vier langen Sprüngen durch den Schlamm hetzte und, in den wenigen Sekunden bereits völlig durchnäßt, die Tür aufriß und sich neben Morosow auf den Kunstledersitz warf. Dann starrten sie beide wortlos auf die zitternde Brücke und die reißenden Wassermassen.
    »Eine Sintflut«, sagte Morosow plötzlich, ohne Abukow anzusehen. »Welches Bibelwort fällt Ihnen jetzt ein, Victor Juwanowitsch ?«
    »Matthäus 27, Vers 46: Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« sagte Abukow leise.
    Morosow nickte schwer. »Ein eindrucksvolles Wort. Ich spüre etwas von diesem grauenvollen Gefühl des Verlassenseins. Der Himmel ist leer. Keine Tür gibt es mehr, die sich für uns öffnen könnte. Wir gehen verloren für alle Ewigkeit. Hoffnung ist nichts als Illusion …«
    »Nein!« sagte Abukow . »Gott ist die Hoffnung. Er öffnet die Tür.«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Morosow . Dann blickte er auf seine Armbanduhr: »Bis zur neunten Stunde sind es noch sechs Stunden. So lange hält die Brücke nicht.«
    »Und dann, Wladimir Alexejewitsch ?«
    »Es ist gut, daß Sie gekommen sind. Dann sprechen Sie ein Gebet für mich, und ich stürze mich in den Fluß, meiner Brücke hinterher.«
    »Nicht, solange ich neben Ihnen sitze. Es gibt keinen Grund, sein Leben wegzuwerfen.«
    »Gibt es ihn nicht?« Morosow zeigte auf die gurgelnden Fluten. »Was ist mein Leben noch wert, wenn man mich für den Verlust von Millionen Rubeln verantwortlich macht? Volksvermögen, Abukow ! Ein Schädling am Aufbau werde ich sein. Wissen Sie, was das bedeutet? Eine Untersuchung, Verhöre, eine Anklage, eine Verurteilung, Verbannung nach Sibirien … Wo ich früher Tausende von Häftlingen eingesetzt habe, werde ich selbst als Strafgefangener arbeiten. Chefingenieur Morosow als Zwangsarbeiter an seiner eigenen Trasse! Die Perversion des KGB wird perfekt sein. Und das nennen Sie keinen

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