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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Straße in die Bäume weht's dich rein, und dann sitzen wir hier und kauen an den Fingernägeln. Nichts kommt mehr durch. Dann müssen die Depots voll sein.«
    »Sag es Smerdow «, antwortete Abukow . »Ich bin nur ein Fahrer.«
    » Smerdow kennt das ja! Nicht um Smerdow handelt es sich, mein liebster Victor Juwanowitsch , sondern um uns. Die ›Umverteilung‹ müssen wir aktivieren, der neuen Situation anpassen. Wir sollten die Doppellisten noch genauer studieren als bisher.«
    »Mehr für dich, weniger für die Lagerinsassen, heißt das.«
    »Man hat ja so recht, wenn man dich einen besonders klugen Menschen nennt.« Gribow rieb sich die fetten Hände und setzte sich an seinen Schreibtisch vor die ausgebreiteten Listen. »Wie viele Kilo Fleisch haben wir denn heute hergebracht? Wie viele Tönnchen Fett?«
    »Eine große Enttäuschung wird es geben, Kasimir Kornejewitsch «, sagte Abukow ruhig. »Nichts kann abgezweigt werden.« Gribow lachte meckernd, als habe er einen besonders schmutzigen Witz gehört, und blickte Abukow fröhlich an. Aber als er dessen Augen sah, wurde er sofort sehr ernst und ahnte, daß es keinen Grund zum Lachen gab.
    »Was heißt nichts?« fragte er.
    »Du wirst die Originalliste bescheinigen müssen.«
    »O Väterchen Frost, ihm bekommt die Kälte nicht!« rief Gribow dramatisch. »Das Gehirn vereist ihm! Trink einen großen Wodka, Brüderchen, das löst die Nerven.«
    »Harte Zeiten kommen.«
    »Für mich!« schrie Gribow .
    »In den Wäldern und an der Trasse arbeiten die Sträflinge unter Bedingungen, die niemand glaubt, der es nicht selbst gesehen hat. Und wenn sie zurück ins Lager kommen, was bekommen sie dann zu essen? Kohlsuppe, erfrorene Kartoffeln, ein paar Stückchen Fleisch in einer Wasserbrühe, klitschiges Brot, einen Klecks Marmelade. Oder eine Kascha, die zum Tapetenkleben geeignet ist.«
    »Eine dicke Kascha füllt den Magen aus, was will man mehr! Ja, wenn wir hier in einem Sanatorium an der See wären.« Gribow stimmte sein altes Lieblingslied an, aber Abukow winkte energisch ab. »Der Winter ist da!« rief Gribow und keuchte schwer.
    »Deshalb ist es notwendig, allen Lagerinsassen die volle Zuteilung zu geben.«
    »Jetzt dreht sich die Sonne um die Erde!« stöhnte Gribow und stützte den dicken Kopf in beide Hände. »Soll alles auf den Kopf gestellt werden?«
    »Nur an Gerechtigkeit sollte man denken.«
    »An was?« Gribow starrte Abukow verwirrt an. »Buchstabiere mal das Wort. Gibt's das in unserer Sprache? Wie klingt das?«
    »Es werden die Originallisten unterschrieben«, wiederholte Abukow stur.
    »Das kannst du mir nicht antun!« schrie Gribow und zuckte am ganzen fetten Leib. »Das Lumpenpack frißt sich voll, und wir sollen wehmütig vor einer Schüssel Brei sitzen. Victor Juwanowitsch , hast du's vergessen? Die Kuchen von Nina Pawlowna . Ihr Kurnik und ihr Tabaka . Oder das herrliche Karabach Chorowaz mit dem Granatapfelsirup? Und wie ist's mit Kapsarullid , den himmlischen Kohlrouladen? Welch eine Köchin ist Nina Pawlowna – alles das soll vorbei sein?«
    »Wie kannst du fressen wie ein Nilpferd, wenn hinter dir 1.200 Menschen sich vor Hunger krümmen?«
    »Bin ich verurteilt, he? Bin ich ein Verbrecher? Habe ich das System verraten? Habe ich Banken ausgeraubt, Menschen niedergeschlagen, Autos geplündert oder staatsfeindliche Flugblätter verteilt? Ein braver Bürger bin ich, ein geplagter Verwalter, ein schwer herzkranker Mensch – und mir gönnt man ein bißchen Essen nicht? Abukow , was bist du nur für ein Freund!«
    Eine halbe Stunde stritten sie sich, sogar die Tränen traten Gribow in die Augen, und als diese Glanzleistung keinen Eindruck auf Abukow hinterließ, drohte er Schläge an, kündigte die Freundschaft und nannte Abukow einen gefährlichen Freund der Staatsverbrecher. Den größten Trumpf brüllte er in höchster Not heraus: »Beschlossen ist's, ich trete aus der Gewerkschaft ›Theater Die Morgenröte‹ aus! Wer ist Abukow ? Nie gehört, kenne den Namen nicht, Genossen!«
    Nichts half. Abukow bestand darauf, die Originalliste zu unterschreiben, und Gribow weigerte sich, dem Elend ausgeliefert zu werden, wie er es nannte. Als Abukow das Magazin verlassen hatte, rannte Gribow sofort hinüber zu Mustai .
    »Den Verstand hat er verloren!« schrie er und rang die Hände. »Victor Juwanowitsch , oh, was ist aus ihm geworden? Wie kann ein Mensch sich so ändern! Besteht darauf, den ganzen Kühlwagen amtlich abzuliefern. Mustai

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