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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nichts – aber Mustai spürte, daß dort ein Mensch war, der ein Freund werden konnte. Es gab dazu keine Veranlassung … er fühlte es einfach.
    »Ich bin Mustai Jemilianowitsch Mirmuchsin«, sagte er und wartete darauf, daß sein Nachbar, genauso wie er – Mustai – es bisher bei fast allen anderen Leuten erlebt hatte, den Mund zu einem Grinsen verziehen würde. Zumal da er auf seinen feuerroten Haaren die bestickte Usbekenmütze trug; das letzte, was ihn mit seiner Heimat verband. Von seinem Vater hatte er sie geerbt, in der Erinnerung war sie verbunden mit Schlägen und Schimpfworten, mit Bastard und roter Bock – trotzdem liebte er sie, vor allem den Kranz der bunten Glasperlen.
    Abukow blickte von seinem Buch hoch. Er grinste nicht. Hab ich es nicht geahnt, dachte Mustai glücklich. Er ist ein Freund.
    »Ich heiße Victor Juwanowitsch Abukow.«
    »Auch an der Pipeline?«
    »Noch nicht. Will erst hin. Habe gerade die Einstellungsuntersuchung hinter mir. Warte auf den Einsatzbefehl.«
    Mustai beugte sich vor und starrte auf das Buch: »Was liest du da, Brüderchen?«
    »Etwas Technisches. Reparaturen an Achtzylindern.«
    »So was macht doch die Werkstatt.«
    »Und wenn unterwegs der Motor aussetzt?«
    »Dann gibst du dem Aas einen Tritt und hast frei. Sag bloß, du willst ihn selbst reparieren!«
    So kam man ins Gespräch. Mustai erzählte von seinen Limonadensorgen. Wie elektrisiert kam sich Abukow vor, als Mirmuchsin seinen Herstellungsbetrieb im Magazin des Lagers JaZ 451/1 erwähnte.
    »Kann man dort eine Wohnung bekommen?« fragte Abukow naiv. »Man hat mir als Spezialisten ein Zimmer für mich allein versprochen.«
    Mustai starrte Abukow zunächst fassungslos an, dann schüttelte er sich vor Lachen, warf sein besticktes Mützchen in die Luft und gebärdete sich, als lecke ihm eine Ziege die Fußsohlen. »Ein Zimmer!« schrie er und klopfte sich auf die Schenkel. »Ein Zimmer will er im Lager haben! Kannst es bekommen, Brüderchen … stell dich in Tjumen auf den Leninplatz und ruf in alle Winde: Weg mit den Bonzen! Jagt sie alle weg, die Schmarotzer in Moskau! – Sofort wirst du ein Zimmerchen im Lager bekommen, ein Holzbrett in der Reihe, und keine Sorge hast du mehr mit dem Fressen, brauchst nichts mehr zu kaufen, bekommst alles angeliefert … hahaha!«
    »Ach, so ist das«, sagte Abukow gedehnt und tat so, als begreife er es jetzt. »Und du darfst da hinein?«
    »Sie halten mich für blöd.« Mustai zwinkerte vergnügt. »Da stehen alle Türen offen. Blödsein – das bedeutet das freieste Leben auf Erden. Du wirst es schwerhaben, Victor Juwanowitsch – du bist ein Intellektueller. Du liest Bücher. Wenn jemand zu mir sagt: ›Weißt du, was ein Bücherwurm ist?‹, dann nicke ich und freß die Seiten auf. Dann wird alles lachen, und niemand wird mir im Wege stehen, wohin ich auch komme.«
    »Ein verdammt kluger Bursche bist du, Mustai Jemilianowitsch.«
    »Sag's nicht so laut, Freundchen.« Er kam hinüber zu Abukow, setzte sich auf dessen Bett und benahm sich so, als vertraue er ihm Geheimnisse an. »Hab dich beobachtet, Brüderchen, den ganzen Nachmittag. In der Stadt.«
    »So?« antwortete Abukow. Aber er wurde vorsichtig. Was habe ich falsch gemacht, durchfuhr es ihn, daß mich ein Mensch wie Mustai nicht aus den Augen läßt? Wo und wie habe ich mich anders benommen als die anderen? Das muß man ändern. Was an mir auffällt, könnte später sehr gefährlich werden. Da sieht man es: Es genügt nicht, drei russische Dialekte zu sprechen, um ein Russe zu sein. »Hing mir das Hemd aus der Hose?«
    »Ich muß immer wissen, wer mein Bettnachbar ist.« Mustai schob das bestickte Käppchen tiefer in die Stirn. »Du bist mir aufgefallen, weil du so vornehm bist.«
    »Vornehm? Haha!« Abukow lachte roh. »Laß mich mal Zwiebeln essen, und ich stinke wie zehn Ziegen.«
    »Zwei weiße Hemden hast du im Koffer, und einen schwarzen Schlips.«
    »Du hast also meinen Koffer durchwühlt, du Halunke!«
    »Bloß zur Information, Brüderchen.« Mustai grinste kameradschaftlich. Es war keinem übelzunehmen, daß er in Mustai einen Idioten sah. »Die Finger sollen mir abfallen, hintereinander, wenn ich etwas stehlen würde.«
    »Ich habe vor«, sagte Abukow leichthin, »an freien Abenden ins Theater zu gehen, wenn etwas Gutes gespielt wird. Eine Oper vielleicht, oder ein Drama von Schiller. Kann auch ein Singspiel sein … Und fürs Theater macht man sich fein, ist doch klar. Nur im weißen Hemd gehe ich ins

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